Edelbitter

Mein Einkauf ist auf dem Laufband an der Kasse. Banane – Piep! – Blumenkohl – Piep! – Milch – Piep! – Nudeln – Piep! – diverse weitere Pieps werden von der Kassiererin über den Scanner gezogen. Sie lässt die eingescannten Artikel der Reihe nach zur Ablagefläche runterrutschen, wo ich sie in fließender Bewegung in Empfang nehme und in meinen Einkaufwagen lege.

Hä? – denke ich, was ist das denn? Eine Packung „Schwarze Herrenschokolade, Edelbitter, hauchdünn“? Hab ich nie gekauft. Ich hasse Edelbitterschokolade. „Täfelchen“, lese ich, ach wie süß. „Mit 60% Kakao“, steht auch noch drauf. Auch mit 100% Kakao, nein, nochmals nein! Also sage ich freundlich aber bestimmt: „Diese Edelbitterschokolade gehört aber nicht mir.“ „Lag aber bei Ihrem Einkauf“, antwortet die Kassiererin, eine muskulöse Blondine, mit der man sehr gerne friedlich auskommen möchte.

Ich blicke zurück zur Kundin, eine junge Frau hinter mir, sie hat nur zwei Kosmetikartikel auf dem Band und schaut weg. „Verzeihung“, rede ich sie an, „gehört die Schokoladentafel vielleicht Ihnen?“ „Mir?“, fragt sie verdutzt, „nein, würde ich niemals kaufen, ich hasse Edelbitterschokolade.“ „Aber irgendjemand muss mir doch diese Tafel in meinen Wagen gelegt haben?“, bemerke ich. „Wie meinen Sie das?“, fragt mich die junge Frau. „Nein, bitte, ich möchte Ihnen nichts unterstellen“, antworte ich, „aber vielleicht haben Sie das unbewusst getan?“ Sie starrt mich an. „Sie meinen, die Edelbitterschokolade aus der Kosmetikabteilung in meinen Wagen gelegt? Steht vielleicht „Gut für die Haut“ drauf?“, fragt sie spitz. „Schokolade befeuert positive Botenstoffe im Körper und die wiederum sind folglich auch gut für die Haut. Durchaus ein komplexer Zusammenhang. Also? Warum nicht? Ganz unbewusst?“, gebe ich zu bedenken. „Noch bin ich klaren Geistes, guter Mann“, antwortet sie scharf und ich denke kurz, woher weiß sie, dass ich ein guter Mann bin?

Inzwischen haben sich weitere Kunden in die Schlange vor der Kasse eingeordnet und fragen sich spürbar, warum es da vorne nicht weitergeht. Auch die Kassiererin wird ungeduldig. „Aber alle weiteren Artikel die Sie gekauft haben, sind so weit okay? Nur, damit ich mich entspannen kann“, sagt sie. „Alle wunderbar, nur diese Edelbittertafel nicht“, antworte ich „Die habe ich nun aber bereits eingegeben“, sagt sie mit frostigem Unterton. „Können Sie das nicht draußen weiter diskutieren?“, kommt eine Stimme aus der Schlange. „Möchte jemand von Ihnen vielleicht eine Tafel Edelbitterschokolade?“, rufe ich. Da meldet sich eine alte Oma aus der Schlange an der Kasse nebenan: „Ha! Sie haben meine Schokolade genommen? Unerhört! Ich wundere mich schon die ganze Zeit, wo denn die Tafel Edelbitter ist?“ „Sie stehlen alten Damen die Artikel aus dem Einkaufswagen?“, herrscht mich die Kassiererin an. „Und verleumden die Kundschaft“, ergänzte die junge Frau. „Polizei!“, keift jemand, da stürze ich schon fluchtartig nach draußen. „Wir wissen wo du wohnst!“, höre ich noch aus der Ferne.

Radio Gaga

Ich bin in den kleinen Laden gegangen, um mir ein Hemd zu kaufen. Während ich die Auswahl an den Kleiderstangen durchblättere, läuft im Hintergrund unüberhörbar dass Radio. Zwei aufgekratzte Moderatoren spielen einen Titel kurz an und fragen: „Wer erkennt die Interpretin? Sofort anrufen unter …..holt euch die 500,- Euro!“ Ich will mich auf die Hemden konzentrieren, merke aber, wie mich diese Frage packt. Sie spielen den Titelfetzen noch mal. Ich kann es kaum glauben: das ist doch eindeutig Marianne Rosenberg mit „Er gehört zu mir“. (Wie der Schein zu mir, denke ich.) So leicht bin ich noch nie zu Geld gekommen. Ein Hörer ist auf Sendung und meint: „Mary Rose?“ Mann, ist der blöd. Der Moderator sagt: „Leider falsch. Aber jetzt alle zuhören – ich erhöhe auf 600.- Euro, heute Nachmittag auf eurem Konto, ruft an!“

Ich werde immer nervöser. Für 600.- Euro kann ich mir gleich jetzt ein Dutzend Hemden kaufen. Wahnsinn. Sie spielen den Titel noch mal an. Ich kann mich überhaupt nicht mehr konzentrieren, wühle fahrig in den Stoffen herum. „Ja, wer ist dran?“, fragt der Moderator. „Ich bin Lena aus Rostock. Den Titel singt…äh… Nicole?“ Nicole? Ja bist du denn völlig leer da oben, denke ich. Das tut ja schon weh. „Tut uns leid, Lena, leider nein“, bedauert der Moderator. Wieder spielen sie das Lied an und sagen: „Einem Anrufer geben wir noch eine Chance – ruft an!“ „Haben Sie die Nummer von Radio Brandenburg?“, schreie ich den Ladenbesitzer an. „Bitte? Worum geht´s?“, fragt er verdattert. „600,- Euro, Mann! 600.- Euro!“, brüllen ich ihn an und dann in Richtung Radio: „Marianne Rosenberg! Ma-ri-an-ne Ro-sen-berg!!“ Er schaut mich sonderbar an und fummelt an seinem Handy herum. Ich schreie: „ Marianne Roooosenberg! Mann! Das ist doch pipi-einfach! Marianne Rosenberg!!“, stürze nach draußen, klettere auf einen Tisch mit Sonderangeboten und wedele mit einem karierten Hemd herum. Es muss mich doch jemand von Radio Brandenburg sehen. „Marianne Rosenberg!! Er gehört zu mir! Rosenberg! Marianne!“, gröle ich wie von Sinnen. Als mich die Sanitäter fest fixiert in den Krankenwagen verbringen, höre ich noch aus der Ferne eine Hörerin „Helge Schneider?“ antworten. Danach falle ich vor Schmerz in Ohnmacht.

Lucky Shoot

Man kann machen was man will, oft sind spontane Fotos einfach die besten. Nicht lange vorbereiten, also schulmäßig ausleuchten, positionieren, vielleicht noch schminken, nein, einfach in der genialen Sekunde auf den Auslöser drücken, in der für einen winzigen Moment alles passt. Glück und Talent müssen da zusammenfinden und dann – Bingo! So ein Foto von mir bekam ich heute geschenkt und bin immer noch ganz geschmeichelt. Ich, so gegen Mittag, frontal in leichter Seitenansicht, bin beim Essen und Telefonieren, ganz gedankenverloren blicke ich in die Ferne. Charismatisch, mit einem leichten Hauch von Lächeln, das mir durchaus gut zu Gesicht steht. Grandioses Foto. Man will dafür 30,- Euro von mir haben, das ist für ein einfaches Schwarz-Weiß-Foto nicht billig, aber gute Sachen haben halt ihren Preis und ich unterstütze damit – unter dem Aktenzeichen 9876/46.167.68, Stichwort „Geschwindigkeitsüberschreitung – von Herzen gerne die klamme und Freie Hansestadt Hamburg. Sie muss wahrlich sehen, wo sie das Geld für ihre schweineteuren Kulturtempel herbekommt.

Glücksspiel

Ja, ich spiele. Nicht permanent, aber immer mal wieder, am liebsten Eurolotto. Umso voller der Jackpot ist, desto mehr setze ich ein. Und dann male ich mir aus, was ich alles mit dem vielen Geld machen würde, dabei stoße ich in meinem tiefsten Inneren auf einen großartigen Charakterzug, der sich erfreulich von meinen normalen, konfusen Wesenszügen unterscheidet: Ich stelle mir vor, wie ich die Millionen unter all meinen sich geplagten und geschundenen Freunden verteile. Mit dem Füllhorn in der Hand besuche ich sie und schon auf dem Weg dahin bekommt jeder Straßenmusiker oder Bettler eine volle Hand in seinen Hut geworfen. Auch Hagenbeck und Jens Spahn, die Bill Gates Stiftung und die verarmten Hohenzollern sollen nicht leer ausgehen. Ich verausgabe mich lustvoll. Ganz am Ende dann denke ich auch mal an mich, stoße die große Glastür einer Porsche-Verkaufsfiliale auf und setze mich in die teuerste Karre, die dort zum Verkauf steht. Diese Schweinerei gönne ich mir. (Sorry, Greta.)

Auch dem Verkäufer stopfe ich ein Bündel Geldscheine unters Hemd. Ich bin nicht mehr zu stoppen. Leben, jetzt. Corona hat uns gelehrt, wie bedroht es sein kann. So weit, so gut – immer vorausgesetzt, man tippt die richtigen Zahlen. Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Bei der Wahl seiner Zahlen darf man nicht verkrampft sein, muss das richtige Verhältnis zwischen Bauch und Kopf finden. Persönliche Geheimzahlen oder Geburtstage der Lieben haben sich als Nieten entpuppt, auch Hausnummern, Steuersätze oder die eigene Genitallänge funktionieren nicht. Am besten, man kreuzt seinen Tippschein völlig gedankenlos an, frei von Wünschen und Träumen. desgleichen vor der Verkündung der Zahlen, niemals daran denken, dass man den Jackpot abräumen könnte – niemals! Genau diese Gedanken sind bekanntlich die verbindlichste Garantie für eine abgrundtiefe Enttäuschung.

Aber vor zwei Jahren bin ich mal in den Urlaub gefahren und hatte in der Aufregung völlig meinen aktiven Eurolottoschein vergessen, also weder an ihn, noch an ein Losglück gedacht. Null! Plötzlich erhielt ich am Strand einen Anruf meines Freundes, der in meiner Wohnung die Yukapalme goss und auf dem Tisch den Spielschein fand. Fürsorglich brachte er ihn zur Überprüfung in die Lottoannahmestelle. „Sitzt du?“, rief er aufgeregt in den Hörer, „Du hast fünf Richtige!“ Fünf von sieben Zahlen! Ich fiel fast in Ohnmacht. Ich? Fünf Richtige? Siehste, siehste, dachte ich, nur so funktioniert es. Bevor ich im Geiste anfangen konnte die Millionen zu verteilen, holte mein Freund mich auf den Boden: „Du bekommst 380.- Euro. Leider ist eine Zahl an der falschen Stelle, sonst hättest du 12.000,- Euro gewonnen.“ Pech im Glück, so ein Mist. Aber ich habe daraus gelernt, habe die parapsychologischen Gesetzmäßigkeiten verstanden. Seitdem denke ich vor der Abgleichung meiner Lottozahlen an alles, nur nicht an einen Gewinn, z.B. Sex in der Achterbahn, an die Erderwärmung, an ein Rezept für Königsberger Klopse oder mein erstes Fahrrad. Das ist leichter gesagt als getan, irgendwann in diesem Psychospiel schleicht sich heimlich aus einem raffinierten Versteck dann doch der Funke eines Gedankens hinein: Stell dir vor, du schnappst dir den Pott? Und bums – schon sind alle Chancen wie weggefegt. Nichts geht mehr. Ein qualvolles Spiel. Heute bin ich mit AC/DC auf den Kopfhörern und Karaoke singend in meine Lottoannahmestelle marschiert, um meinen Schein überprüfen zu lassen. Morgen soll ich auf Kaution freikommen.

Tapas Terror

Dieter war schon ein paar Mal auf Insel, hatte sie uns wärmstens empfohlen und alles organisiert. Nun saßen wir, fünf urlaubsfreudige Freunde, nach der Ankunft mit weißen Beinen und in halblangen Hosen in einem von Dieter gepriesenem Lokal und blätterten in der Speisenkarte. Nach strapaziösen Anreisen und spärlichem Fliegerfraß habe ich grundsätzlich Riesenhunger und verspüre den drängenden Wunsch, ihn zu stillen.

In meinem Bekanntenkreis eilt mir wegen dieser Neigung der Ruf eines „Fresssacks“ voraus. Was daran verwerflich ist, auf die Wünsche seines Körpers zu hören, kann ich mir nur damit erklären, dass heutzutage der Hunger in einer vom Schlankheitswahn besessenen Zeit als Feind diskreditiert wird und mit allen Mitteln, zumeist von der Pharmaindustrie, beseitigt oder zumindest gebändigt werden muss. Ich bin in einer elterlichen Welt aufgewachsen, in der satt werden das ersehnte Ziel einer hungergeplagten Nachkriegsgeneration war. „Bist du satt geworden?“ fragte mich meine Mutter nach jeder Mahlzeit ständig und wenn meine positiven Bestätigungen sie immer noch nicht zufriedenstellten, folgte ein resolutes: „Du bist doch noch nicht satt!“ Ich durfte erst aufstehen, wenn mir nachweislich schlecht war. Diese historische Komponente soll meinen folgenden Fall verständlicher machen und bei der Gelegenheit möchte ich auch noch grundsätzlich erklären, dass ich mein Brot mit jedem Armen und Hungernden teilen würde – nur nicht im Urlaub mit gutsituierten Freunden, welche sich mit dem Betreten der Insel zu meinem Erstaunen schlagartig in glühende Verehrer der insularen Küche verwandelten und zugleich Anhänger einer kollektiven Bestellung waren: gemeinsam alles essen und am Ende durch alle teilen. Diese Sozialküche steht, wie schon gesagt, in solch speziellen Momenten diametral zu meinem Individualbedürfnis.

Noch mal: ich liebe auch kulinarische Vielfalt und die kultivierte Plauderei zwischen den Gängen – aber nicht wenn ich hungrig bin! Dieter moderierte inzwischen wie selbstverständlich die Speisekarte und sagte: „Hier gibt´s nur leckere Sachen, wir essen doch von allem etwas, oder?“ Eine rein rhetorische Frage, längst war er nämlich zur Führungs-und Deutungs-Hoheit avanciert und ganz unter die Haut der Insulaner geschlüpft. Er rief den Kellner und bestellte Tapas, die mir größtenteils völlig fremd waren, wobei er beim Ordern der einzelnen Speisen weiterhin in scheinheiliger Höflichkeit „Oder?“ in die Runde fragte, um seiner Bestellung einen basisdemokratischen Anstrich zu verleihen. Niemals hätte ich es gewagt ihm mit „Ich mag aber keine Sardinen“ in die Parade zu fahren. Ergeben hörte ich ihn Gemüse und Fisch „mit schön viel Knoblauch“ in allen erdenklichen Variationen bestellen, bis mich plötzlich „Fleischbällchen in Tomatensoße“ aus meiner Lethargie rissen. Mein Magen wollte „Davon hätte ich gerne zwei Dutzend!“ schreien, riss sich aber zusammen.

Eine halbe Stunde später war unser Tisch randvoll mit kleinen Schälchen mit den verschiedensten Gerichten, über die sich nun alle hermachten. Jeder nahm sich vor meinen fressneidischen Augen etwas davon und hiervon und ständig hörte man kleine Laute des Entzückens wie „Köööstlich“ oder „Wie lecker“ oder „Delikat“. Dieter steckte keinen Bissen ohne Lobpreisung der mediterranen Küche in seinen Mund: „Leute, ihr müsst unbedingt von den Oliven in Brunnenkresse probieren, ein Gedicht!“ Mein ganzes, schlichtes Sehnen hingegen galt dem Schälchen mit den Fleischbällchen, die meiner konservativen Ansicht nach als Einzige in der Lage waren, meinen quälenden Hunger zu stillen. Als es endlich bei mir ankam, waren zu meinem Leidwesen nur noch zwei übrig. Auf meine verschämte Frage, ob wir die nicht nachbestellen könnten, meinte Dieter nur: „Aber probiere doch mal die Octopusärmchen in Senf-Koriander-Krüstchen.“

Am nächsten Abend gingen wir wieder in dieses Lokal. Bevor Dieter seine Bestellungsregie starten konnte, sagte ich laut: „Ich nehme heute mal eine große Portion von den Fleischbällchen. Nur für mich.“ Eine halbe Stunde später war ich gewaltsam in Abschiebehaft verbracht.

Trink, Brüderlein, trink…

Im zunehmenden Maße führt man im Alter Gespräche über seine Gesundheit, vordringlich über die fehlende. Meistens wird einem so ein Gespräch von anderen aufgezwungen, von Menschen, wo man es sofort bereut, dass man sie „Wie geht´s?“ gefragt hat. In der Flut ihrer Befindlichkeiten und Befunden taucht unter Garantie die Frage auf „Trinkst du denn auch genug?“, alternativ auch die Mahnung „Du musst genug trinken.“ Darüber haben wir in jungen Jahren kein Wort verloren, genug trinken gehörte zu unserem Alltag, besonders abends und nachts. Heute nun ist es ein Muss. Seltsamerweise hat man im Alter nicht mehr so viel Durst, das heißt, man muss sich zum Trinken richtiggehend zwingen. Die Angaben über das nötige Maß an täglicher Flüssigkeitszufuhr schwanken zwischen zwei bis drei Liter, manche nehmen sogar noch mehr zu sich, bewegen sich damit dann allerdings schon in Richtung Kamel. Ich habe mich zwischen zwei und drei Liter Wasser eingependelt und erschrecke mich jeden Morgen, wenn ich mir streng meine Tagesration in Glasflaschenform auf den Tisch stelle. Oh, Gott! Das soll ich heute alles trinken.

Das erste Glas schütte ich mir noch wacker rein, danach versiegt mein Bedürfnis deutlich. Natürlich variiere ich auch, trinke Wasser als Tee oder Schorle, aber die Leidenschaft, mit der ich abends mein kühles Helles verköstige, erreichen diese Mixturen nicht annähernd. Dennoch, ich beiße mich….besser, saufe mich tagsüber durch. Das wiederum hat Konsequenzen. Denn was oben reinfließt, will unten wieder raus, heißt, ich muss ständig pinkeln. Warum kann ich noch heute Stunden lang unbeweglich in einem Wirtshaus sitzen und Bier in mich reinschütten, muss aber nach einem Glas Wasser schlagartig aufs Klo? „Wasser treibt“, sagte mein Vater immer. Er musste das wissen, er war Ruderer, vergaß aber zu sagen: „Kaffee in Kombination mit Wasser treibt unvorstellbar.“

So also betrete ich nach meinem Frühstücksmüsli mit Kaffee und Wasser zum Einkaufen meinen Supermarkt und stürze sofort ins Kundenklo. Manchmal ist es so knapp, dass ich mich heimlich auf der Rückseite des Gebäudes in ein Gebüsch entleere. (Männer!) Die Stelle kennt mich schon. Fahre ich mal morgens von meinem Dorf nach Hamburg, halte ich auf den 180 Kilometern mindestens drei Mal an und schaffe es oft in letzter Sekunde in das Autobahnklo. Damit ich immer auf der sicheren Seite bin, hat mir ein Freund ein mobiles Urinal für die Autofahrt geschenkt. „In Tokio bei den vielen Staus führen das alle Autofahrer mit sich“, meinte er, dabei war der noch nie in Tokio. Das Teil sieht aus wie eine breite WC-Ente, gibt es auch mit Aufsatz für Frauen. Eine sehr praktische Erfindung und funktioniert sogar. Sieht wohl in aktiver Nutzung ziemlich erbärmlich aus, aber eine vollgepisste Hose ist ungleich erbärmlicher. Letzte Woche war ich mit meinem Auto in der Werkstatt, als ich es nach Stunden wieder abholte, lag mein geliebtes Urinal demonstrativ auf dem Beifahrersitz. Der fürsorgliche Mechatroniker muss es wohl unter meinem Fahrersitz gefunden haben. Ich glaube, ich hatte einen knallroten Kopf.

Leere Worte

Ich habe sie gerade gefragt, was ihre Tochter macht, da sagt sie: „Es kann sein, dass mein Akku gleich….“ Und – zack! – sind wir getrennt. Einen Moment später ruft sie wieder an. „Hu-hu! Komme jetzt über mein Handy“, sagt sie fröhlich und fragt „Wo waren wir stehengeblieben?“ „Bei deinem Akku“, antworte ich. Sie lacht und meint, sie verstünde das nicht, erst gestern hätte sie den Akku ihres Festnetztelefons vollgeladen, auf der Ladeanzeige waren alle Striche aktiv.

„Das sagt gar nix“, sage ich souverän, „wenn du es ständig auf der Basis lässt, verliert der Akku an Kraft. Wird schlapp, wie wir, wenn wir nicht gefordert werden. Auch unsere Zellen müssen ja immer wieder frisch aktiviert werden, du verstehst?“ Sie ist spürbar beeindruckt. „Boah, jetzt wo du´s sagst“, antwortet sie nachdenklich.

Unbedarfte Menschen, besonders Frauen, wecken in mir den fürsorglichen Aufklärer, ich komme dann richtig in Fahrt und gebe erst auf, wenn ich mir sicher bin, dass sie mich verstanden haben. Ich hätte auch ein guter Lehrer werden können. „Alles hängt mit allem zusammen, weißt du?“, lege ich nach. Eine Prise Philosophie macht immer Eindruck. Sie schweigt überwältigt. So fühlt sich für mich gebannte Aufmerksamkeit gepaart mit Interesse an. Irre, wie gut ich das bei Menschen erreichen kann, denke ich nicht ohne Stolz.

Zum Schluss gebe ich ihr als Abrundung meiner Beratung noch – ganz wichtig – die Lösung, mit der sie zukünftig arbeiten kann: „Du musst das mobile Teil ab und zu mal von der Station nehmen, damit es sich komplett entleert, und sich dann wieder kraftvoll aufladen kann.“ Sie ist beeindruckt und findet, dass ich ja wohl tolle Ahnung von Technik habe und ein richtig praktischer Mann sei. Ich lasse ihre völlige Fehleinschätzung unwidersprochen stehen. „Öööhm….ach ja, ich wollte doch wissen, was macht eigentlich deine Tochter?“, wiederhole ich meine Frage, die ich ihr vor dem Kommunikationsabsturz gestellt hatte. Ich höre noch, wie sie „Clara? Also die studiert jetzt in Münster…“ sagt, da reißt unser Gespräch ab. Mein Akku ist leer.