Im gebührenden Rahmen

Großes Wiedersehen, große Freude. Ich habe die beiden über fünfzehn Jahre nicht mehr gesehen. Wir sitzen und quatschen, essen und trinken, genießen die alten Erinnerungen und wollen gemeinsam wieder neue aufbauen. Dann gehen sie durch mein Haus und erfreuen sich an vielen meiner Cartoons, die ich an meinen Wänden habe. Beim Abschied gestehen sie mir, dass sie zwei Motive total super fänden und fragen zaghaft, ob sie davon nicht einen Abzug haben könnten. Für ihre Wohnung, aber nicht zu allzu groß, am besten im Format A3. „Aber gerne“, sage ich geschmeichelt und verspreche, dass ich ihren Wunsch nicht vergesse und ihnen die beiden Bilder spätestens nächste Woche zusenden werde. Schon am nächsten Tag nehme ich mir die Cartoons vor und perfektioniere sie noch ein wenig.

Dann fahre ich zu meinem Drucker in Nachbarort, um mit ihm nach längerer Diskussion ein hochwertiges Papier auszuwählen. Ich entscheide mich für ein schneeweißes, schweres Kunststoffmaterial, das garantiert, dass sich das Bild, selbst an feuchten Wänden, nicht verwirft. Das Material ist nicht billig, mir aber egal, für gute Freunde und einem Ehrenplatz in ihrer kultivierten Wohnung gebe ich gerne was aus. Wenige Tage später hole ich mir die beiden edlen Drucke ab, fahre sie behutsam nach Hause, verpacke sie stabil und bringe sie zur Post. Zwei Tage später bekomme ich über WhatsApp eine Nachricht meiner überglücklichen Freunde. Ja, ihre zwei Wunschcartoons seien unbeschädigt bei ihnen angekommen und würden jetzt unverzüglich fein gerahmt. Ich bin erleichtert, dass alles so gut geklappt hat und genieße meine gute Tat. Im Geiste sehe ich vor mir, wie sich in einer Krefelder Wohnung Besucher und Gäste fröhlich glucksend in unverhohlener Wertschätzung an meinen Zeichnungen ergötzen. Mit wird ganz warm ums Herz. Schon am nächsten Tag macht es „Ping!“ auf meinem Handy. Ich registriere aus dem Augenwinkel eine Nachricht aus Krefeld mit Fotos. Ach, wie schön. Ich setze mir ganz aufgeregt meine Brille auf, um das, was ich da sehe, so scharf wie möglich zu genießen: Meine beiden gerahmten Cartoons hängen an einer weißen Wand – in einer Toilette, gleich neben der Kloschüssel.

Onkel Doktor

Du sitzt schlaff vor ihm auf dem Stuhl und er starrt aufrecht auf seinen Computer. Du bist unruhig, schwitzt, knetest dir die Finger, versuchst in seinen Augen zu lesen, was er gleich zu dir sagen wird. Ist es erlösend oder bedrohlich? Geht es für dich weiter oder dem Ende zu? Die Spannung ist fast unerträglich, du hast nackte Angst. Warum spricht er nicht? Warum zuckt er mit der linken Augenbraue? Warum kratzt er sich plötzlich das Kinn? Ein Signal? Weiß er nicht, wie er es dir sagen soll? Fehlen ihm die Worte? Schiebt er dir jetzt diskret die Visitenkarte vom Bestattungsinstitut rüber? Oh, Gott, steh mir bei, vielleicht trete ich auch wieder in die Kirche ein, nur, bitte verschone mich. Da, er räuspert sich und sagt: „Sieht ja alles ganz gut aus, nur der Cholesterinspiegel ist bisschen zu hoch.“ Rumms! Ein Felsen poltert zu Boden. Noch mal gut gegangen – bis zu nächsten Vorsorgeuntersuchung.

Nirgendwo ist der Mensch so kleinlaut und ergeben, wie beim Arzt oder bei einer Ärztin. Die mögen von Geburt an reichlich oder weniger charakterliche Defizite haben, aber wer in der Schule schön fleißig war und aus der Klassenarbeit keine Papierflieger bastelte, der konnte Onkel oder Tante Doktor werden und anderen eines Tages sagen, was bei ihnen undicht oder defekt ist. Das kann der Installateur auch, allerdings genießt er nicht annähernd diese gesellschaftliche Wertschätzung wie eine Ärztin oder ein Arzt. Ein sauberes Abflussrohr ist halt keine Arterie.

Kein anderer rückt dir so auf die Pelle wie diese Mediziner, keiner kann dich so intim fragen oder in dich eindringen und deine Lebensweise beeinflussen wie sie. Mein Augenarzt hat mir mal nach einem Unfall die Diagnose erläutert, ich lauschte glasig seinen fachworttriefenden Worten und das lag nicht nur an den Tropfen, die er mir vorher verabreicht hatte. Als mich meine Familie fragte, was ich denn nun hätte, konnte ich nur „Keine Ahnung, irgendwas mit Auge“ sagen.

Ich war den Ärzten immer völlig ausgeliefert und ergeben, so, wie ich den Kniefall vor den „Göttern in Weiß“ von meinen beiden kreuzbraven Eltern geerbt habe. Das hat sich mit meiner Lebenserfahrung und einem inflationären Niveauabfall bei den Abiturienten jedoch geändert. Als letztens ein Freund stolz „Unser Valentin will Arzt werden“ zu mir sagte, konnte ich nur fragen: „Ach? Zum Zimmermann hat´s wohl nicht gereicht?“

Donnerwetter

Unvorstellbar, es gab mal Zeiten, da schaute man aus dem Fenster, checkte kurz die akute Wetterlage und verließ unbekümmert seine Wohnung. Regnete es, griff man sich einen Schirm oder eine Jacke mit Kapuze, regnete es nicht, ließ man das Wetter einfach auf sich zukommen.

Wetter, das war die launische Unbekannte, auf die man sowieso keinen Einfluss hatte, und über Dinge, die man nicht beeinflussen kann, muss man sich keine Gedanken machen. Punkt! Das lernte jeder Student im 1. Semester Psychologie. Manche hielten sich einen grünen Frosch im Glas, in dem sich eine kleine Leiter befand. Hüpfte der Frosch daran hoch, gab´s gutes Wetter, hockte er unten, blieb das Wetter schlecht. Eine solch tierquälerische Art der Wetterlagenermittlung mittels einer eingesperrten Amphibie, würde aktuell sofort den Einsatz eines Sonderkommandos von PETA zur Folge haben.

Zwar gibt es bis heute noch den Wetteronkel oder die Wettertante im Fernsehen, die uns pünktlich nach den Nachrichten wie ein Erdkundelehrer, anhand von bekritzelten Landkarten von freundlichen Hochs und grimmigen Tiefs künden, längst aber verfügt doch jeder über eine Wetter-App auf seinem Handy, ohne deren Information er niemals das Haus verlassen würde. Die ganz Cleveren haben sich „Regenradar“ runtergeladen und wissen genau, dass sie exakt zwischen einem klar erkennbaren Wolkenband im Zeitfenster zwischen 14:33 Uhr und 15:09 Uhr trocken zum Supermarkt hin – und zurückkommen. Gestern trat ich mit meinem Sohn aus dem Haus. „Es gibt gleich Regen“, sagte ich. „Bist sicher?“, fragte er. „Hab auf den Himmel geschaut.“ Seine Augen leuchteten. „Cool, die App will ich auch.“