Bob Ross

Er war ein schlanker, mittelgroßer Typ, trug einen Bart und eine Frisur wie Jimi Hendrix und stand immer vor einer Staffelei mit einer weißen Leinwand. Sein Name war Bob Ross. Er starb 1995. Man kann seine Filmchen heute noch im Netz bewundern. Da er Englisch sprach, verstanden ihn eher nur die angelsächsischen Zuschauer, was aber auch völlig egal war, denn der Klang seiner warmen, ruhigen Stimme stimmte jeden, egal welchen Geschlechtes und welcher Nationalität, darauf ein, die Angst vor einer weißen Leinwand für immer abzustreifen.

Dafür brauchte es nur eine Palette, Farben, Pinsel, Spachtel – und ein „Here we go!“ Bob, ein Großmeister der Landschaftsmalerei, begann sein Werk, getreu der malerischen Grundregel von Vordergrund und Hintergrund, zuerst von oben – und zwar mit dem Himmel. Dafür benutzte er einen Breitpinsel, solchen, wie ihn die Maler zum Streichen von Haustüren benutzen, erklärte fröhlich „Now a little bit blue for the sky“, und klatschte querrüber ein Blau auf die erschrockene Leinwand, die eher ein verzagtes Herangehen gewohnt war und mit so einem massiven Angriff nicht gerechnet hatte. Sodann drückte er einen Strang Weiß aus der Tube auf die Palette, schmierte sich davon etwas auf einen Spachtel und begann damit wunderschöne Wolken anzusetzen. Alles sah so spielerisch leicht aus, dass man sich fragte, warum man nicht längst selber auf die Idee gekommen war, in dieser lockeren Technik regelmäßig zur Entspannung Wolkenhimmel zu malen?

Mit dem angefeuchteten Breitpinsel fuhr er dann quer über seine gemalten Flächen und verlieh ihnen dadurch mehr und mehr wolkige Leichtigkeit. Unglaublich. Danach watschte er zackig den Pinsel – rechts – links – rechts – links – rechts – links – an der unteren Verstrebung seiner Staffelei ab, um ihm damit das Wasser aus den Haaren zu klopfen. Die Kameraeinstellung zeigte Bob in seinem blütenweißen, makellosen Hemd nur bis zum Gürtel, man konnte also nur vermuten, wie vollgesaut seine Hose und der Boden war.

„Here we go“ – schon entstanden aus anfänglich plumpen Zacken und Kanten, die er vorher hemmungslos mitten in den zarten, verletzlichen Himmel geschmiert hatte, plötzlich grandiose Bergmassive. Wahnsinn! Und wieder trug er auf diese Idylle mit dem Spachtel quer einen dreisten, fetten Streifen Dunkelblau auf. Wäre da nicht diese wohlige Stimme, die einem tiefstes Vertrauen in seine Malkunst vermittelte, man hätte sich sie Haare gerauft und gedacht: Oh my god, was tust du da, Unseliger? Aber der hässliche Balken entwickelte sich rasch zu einem kristallklaren Bergsee. Bob wusste genau was er tat, aber er war noch nicht fertig. Nun tupfte er virtuos mit einem Fächerpinsel („Totally crazy“) endemische Baumarten um das Seeufer, die er sich anschließend naturgetreu auf der Seeoberfläche spiegeln ließ. Genial! Ein paar Felsen obendrein, etwas Wiesen – und fertig war das amerikanische Nationalparkpanorama.

Figürliches, also schnüffelnde Grizzlys, malmende Elche oder jagende Ureinwohner, sah man auf Bobs Bildern eher nicht. Wie kitschig man seine Bilder auch finden mag, handwerklich sind sie grundsolide, eine Motivation für Millionen Menschen, Bilder zu malen – und ein glänzender Umsatz für die Malartikelhersteller. Letzte Woche erhielt ich eine Einladung meiner Nachbarin zu ihrer Vernissage „Blumen am Zierteich“. Immerhin.

Bla-bla

Der Brandenburger kommt mit drei Sätzen durchs Leben, sagt Florian.
Der erste lautet: „Du sagst es.“ Der zweite: „Da ist was los.“ Der dritte: „Da kann man nix machen.“ Wunderbar.

Das erinnert mich an den von mir einst verehrten Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, der mal gesagt hatte: „Der Niederrheiner weiß nix, kann aber überall mitreden.“ Eine Grundausstattung an Plattitüden erschien mir im Leben immer wichtig, um in den Niederungen des alltäglichen Gequatsches einen Eindruck von höflichem Interesse zu bewirken. Aufmerksame Beobachter würden schon an meinem leicht glasigen Blick, und wie ich mich am Kinn kratze, bemerken, dass ihre Worte meine Ohrengänge nur belüften, aber nicht den geringsten Kontakt zu meinem Hirn bekommen. Bestimmte Inhalte müssen nämlich bei mir eine Kontrollstelle passieren, in der entschieden wird, ob sie für mich interessant oder unwichtig sind. Dieser Punkt liegt bei mir im Innenohr, genau an der Abzweigung, wo das Schild mit den beiden Richtungspfeilen „Zum Hirn“ und „Ausgang“ drauf steht. Letztere werden quasi einfach nur durchgewunken.

Typische Ausgangsthemen sind für mich Krankheit und Gebrechen, Kirche, Pferde, Hefekulturen, Karl Lauterbach, Verwandtschaft, Rechte, Baumärkte, Stricknadeln, Aktienkurse, Rasenmäher, Hochbeete und Humor in Buchhandlungen. „Zum Hirn“ lasse ich hingegen freudig Anya Taylor-Joy, Katzen, Hunde, meine Söhne, Bierbraukunst, Topfkratzer, Zeichenkunst, Buntspechte, Kosmos, Geschichte, Musik, karierte Hemden, Frieden, Bäume, Freunde und Kartoffelsuppe mit Würstchen. Da kann man nix machen.

Alb-Tram

München. Ich sitze in der Tram zum Hauptbahnhof. Gerade sind alle eingestiegen, da stürzt im letzten Moment eine Familie heran. Mutter mit Kinderkarre und einem kleinem Mädchen drin, er mit schwerem Rucksack und Tasche. Er ist schon im Wagen, sie halb. Die Tür fängt an, sich zu schließen. Kurze Aufregung, sie schreit leicht panisch „Nein!“, er stellt den Fuß in die Tür, zieht den Kinderwagen rein – sie sind alle drin. Uff! Das war knapp. Der Stress rötet ihre Gesichter. Die Tram rumpelt los, sie sucht Halt, er lässt sich schnaufend auf einen freien Platz fallen. Das kleine Mädchen ist schon ziemlich groß, lappt mit den Beinen weit raus aus der Karre, will aber offenbar noch klein sein und jetzt vor allem raus. „Du steigst jetzt definitiv nicht aus!“, warnt die Mutter. Das versteht die Kleine definitiv als Aufforderung und steigt aus.

„Komm her“, sagt der Vater und nimmt sie zu sich auf den Schoß. So fühlt sich missglückte, erzieherische Einigkeit ein. Der Vater bespaßt seine Tochter, erklärt ihre jedes vorbeiziehende Verkehrszeichen und die Häuserfronten. „Schau mal, ein Nagelstudio.“ „Was is´n ein Nagelstudio?“ „Da lässt man sich die Nägel machen.“ „Warum?“ „Weil sie dann schön aussehen.“ „Ich hab Hunger.“ „Schatz, gibst du mal bitte die Laugenbrezel raus?“ „Ich hab Durst.“ „Schatz, und die Saftflasche, bitte.“ Sie steht indessen instabil zwischen Tür und Sitzen. Mit einer Hand hält sie sich, mit der anderen die Karre fest. Bei jeder Bewegung der Tram wirft es sie hin und her.

Ich kann das nicht mit ansehen, neben mir, auf meiner Bank, direkt ihr gegenüber, ist doch ein Platz frei. Nun tue ich etwas Ungeheuerliches. Keine Ahnung, was mich zu dieser Handlung bewogen hat, welche verkapselten, abgrundtiefen Gelüste sich da in mir Bahn brachen, ich – ein weißhaariger, vollreifer Herr – klopfe stumm mit meiner linken Hand auf den freien Platz und lächle ihr freundlich zu. Will sagen, setzen Sie sich doch zu mir, hier ist doch ein Platz frei, brauchen Sie sich nicht so zu quälen. Ich trage auch FFP-Maske. Ich spüre an ihrem entsetzten Blick sofort, Harvey Weinstein lässt grüßen. Oh, Gott, denke ich. Was hast du getan? Das war schändlich, Junge! An der nächsten Haltestelle steht schon ein Sondereinsatzkommando und verbringt dich zur Kastration. Am nächsten Tag lauter die BILD-Schlagzeile: „Schmutziger alter Witzzeichner belästigt junge Mutter!“ Aber ich komme noch mal davon.

Am Hauptbahnhof steigen wir alle aus und sie verschwinden hektisch im Getümmel. Ich höre noch die Kleine fragen: „Mama, wer war denn der weißhaarige Mann?“ „Das war ein alter Sexist.“

Schildbürger

Irgendwann mal hat sich bei uns in Nordfriesland der/die Beauftragte für die Pflege der friesischen Sprache gemeldet und eine Idee gehabt. Wie die es zur kostspieligen Realisation geschafft hat, ist mir schleierhaft. Warum sich der/die Zuständige für die Optimierung öffentlicher Verkehrsschilder unter Berücksichtigung menschlicher Wahrnehmungsfähigkeiten, dazu ein Fachmann des ADAC, zuständig für die Verhinderung optischer Überforderung im wühligen Straßenverkehr, nicht vehement dagegen gewehrt haben, auch das ist mir schleierhaft.

So nun prangen in neuester Zeit an den Verkehrsknotenpunkten in unserer Region riesige, vollgeschriebene, gelbe Verkehrsschilder, auf dem unter jedem Ortsnamen die friesische Bezeichnung steht, z.B.: Niebüll/Naibel, Dagebüll/Doogebel. Schlüttsiel/Slütsil oder Bordelum/Boorlem – und Föhr/Feer, Amrum/Oomram. Verkehrsschilder dienen jetzt der Pflege der friesischen Sprache und deren mobiler Unterrichtung. Es gilt nun für den Autofahrer, in voller Fahrt und neben anderen Ablenkungen wie Schilder, Werbetafeln, wohlgeformter Frauen oder Männer und der Beachtung der ganz normalen Straßenverkehrsteilnehmer und deren Fahrverhalten, im Bruchteil eines Augenblicks zu erfassen und zu verstehen, dass die friesischen Ureinwohner, mächtige, weißhäutige Männer mit ebensolchen Frauen, einst zum Baden nach Slütsil gefahren sind.

Bei dieser vergnüglichen Vorstellung darf ihm aber nicht die Konzentration abhanden kommen. Von dieser außerordentlichen Herausforderung erfährt man in keiner Fahrschule. Ich bin schon lange der Meinung, dass die gepriesenen, digitalen Segnungen unser Leben immer komplizierter und nicht einfacher machen, nun erreicht diese Entwicklung sogar die Verkehrsschilder. Jedenfalls in Nordfriesland/Nordfriiskland.

Ohrwürmer

Ich wurde wach und hörte es erst ganz leise, dann schwoll es an und klang laut und klar: „Ra-Ra-Rasputin, Lover of the Russian Queen….“ Mann, wie kommt bloß dieses blöde Lied von Boney M. in meinen Kopf, dachte ich, streckte mich, schüttelte mich, bohrte mir mit den Fingern in den Ohren, aber es half nichts…“Ra-Ra-Rasputin, Lover oft the Russian Queen…“ stampfte der Beat in meinem Kopf. Diagnose Ohrwurm! Nun gesellten sich auch noch Bilder dazu.

Ich sah diesen krausköpfigen, grellbunt gekleideten Sänger vor meinen Augen herumzappeln und springen, das volle Programm. Der Versuch, ihn mit Jimi Hendrix auszutauschen, misslang. Wie kam dieser bekloppte Song in meinen Schädel, fragte ich mich. Lag es vielleicht am Ras-Putin? Hatte also unterbewussten Bezug zum omnipräsenten Putin? Keine Ahnung, was sich im Kopf manchmal so abspielt und das ist manchmal auch ganz gut so, finde ich. Also stand ich auf und ging ins Bad, womöglich half ja duschen. Aber Rasputin duschte mit. Mir fiel sogar auf, dass ich im Rhythmus des Liedes meinen Waschlappen kreisen ließ. „Ra-Ra-Rasputin, Lover of the Russian Queen…“, oh Gott.

Ich glaub, ich muss zum Arzt. Wie bekam ich nur diesen Quälgeist aus meinem Hirn? Gerade hatte ich mich abgetrocknet, da klingelte das Telefon. Eine Ablenkung wird mir gut tun, dachte ich. Freund Micha war dran, wollte hören wie´s mir geht. „Alles gut so weit, bin nur bisschen genervt“, sagte ich. Er wolle wissen warum. „Mir geht heute Morgen ein Lied nicht aus dem Kopf“, offenbarte ich ihm. „Welches Lied?“, fragte er neugierig. „Ra-Ra-Rasputin…“, trällerte ich in den Hörer. Stille. Dann brüllte er: „Lover oft he Russian Queen? Bist du denn wahnsinnig?“ Zu spät. Mein Ohrwurm war zu ihm übergesprungen. Erleichtert legte ich auf und ging in die Küche. Maria machte gerade Kaffee und trällerte dabei: „Life!…na-na-na-nana…Life is Life…na-na-na-nana…“ Ich glaub ich bring sie um.

Vernissage

Charlotte lädt zur Vernissage. Montag, 18 Uhr, für Getränke und Häppchen ist gesorgt. Ich plane diesen Termin ein, bette ihn zwischen Arbeitsende und Sofa. Schnell geduscht, frisches Hemd und Deo. Im Auto noch mal auf WhatsApp die Einladung gelesen: Montag, 16 Uhr in Oeversee im Akademieweg 6. Na, toll. 16 Uhr nicht 18 Uhr, Butschkow, du Trottel. Aber die 6 und die 8 sind sich optisch sehr verwandt, entschuldige ich mich selber.

Wenn ich bisschen Tempo mache, bin ich pünktlich um 18 Uhr zu den Abschiedsworten da, vielleicht ist noch ein Fischbrötchen übrig und die Künstlerin versöhnungsfähig. Ich gebe die Adresse in meinen Bordcomputer ein und bin schon auf der Straße. Gegen 17:45 Uhr nähere ich mich meinem Ziel. Frau Navi meint, ich soll jetzt weiter geradeaus fahren, mach ich aber nicht, ich biege lieber rechts ab und folge ganz traditionell, so wie früher, einem offiziellen Hinweisschild nach „Oeversee“. Madame schweigt verdutzt. Ich liebte es schon immer, Frauen mit unerwarteten Handlungen zu verwirren. Endlich hat sie begriffen: „Bitte vier Kilometer geradeaus.“ Nach drei Kilometern ist die Straße wegen Bauarbeiten komplett gesperrt. Na bravo. Ich biege scharf links ab und warte auf neue Instruktionen – und endlich kommen sie: „Hundert Meter halb rechts…nach fünfzig Metern rechts….links…rechts…halb rechts…scharf links…geradeaus…nach hundert Metern…“

Ich durchquere Wohnsiedlungen, Bauernhöfe, passiere Kreuzungen, kleine Brücken, folge brav ihrem „Bitte wenden“, erreiche manche Stellen zum zweiten, mitunter zum dritten Mal, erkenne inzwischen Häuser, Gärten und Garagen wieder, sogar Menschen, die langsam auf mich aufmerksam geworden sind und mir ein fröhliches „Moin-Moin!“ zuwinken. Jetzt wäre die Chance neue Freundschaften zu schließen, aber ich muss dringend zu Charlotte.

Es ist bereits 18:35 Uhr und ich kreise, irgendwo im Nirgendwo, irregeleitet von einer digitalen Leitwölfin um einen imaginären Veranstaltungsort und verfahre flüssiges Gold, sprich kostbares Benzin. Um 18:45 Uhr – eine Oma in einer verkehrsberuhigten Zone zeigt mir ihren knochigen Stinkefinger – gebe ich auf. Ich will nach Hause, entbinde Frau Navi mit einem Tastenbefehl ihrer Aufgabe und halte mich in Richtung Westen. Dort werde ich irgendwann mal gewiss auf die Küste, und damit auf mein Heimatdorf stoßen. Um 19:25 Uhr bin ich wieder zu Hause. Zehn Minuten später ruft mich Charlotte an und fragt, warum ich nicht gekommen bin. „Wie? Was? War das heute?“ frage ich sie. Mit der Wahrheit hätte ich noch blöder dagestanden.

Trink, Brüderlein, trink…

Im zunehmenden Maße führt man im Alter Gespräche über seine Gesundheit, vordringlich über die fehlende. Meistens wird einem so ein Gespräch von anderen aufgezwungen, von Menschen, wo man es sofort bereut, dass man sie „Wie geht´s?“ gefragt hat. In der Flut ihrer Befindlichkeiten und Befunden taucht unter Garantie die Frage auf „Trinkst du denn auch genug?“, alternativ auch die Mahnung „Du musst genug trinken.“ Darüber haben wir in jungen Jahren kein Wort verloren, genug trinken gehörte zu unserem Alltag, besonders abends und nachts. Heute nun ist es ein Muss. Seltsamerweise hat man im Alter nicht mehr so viel Durst, das heißt, man muss sich zum Trinken richtiggehend zwingen. Die Angaben über das nötige Maß an täglicher Flüssigkeitszufuhr schwanken zwischen zwei bis drei Liter, manche nehmen sogar noch mehr zu sich, bewegen sich damit dann allerdings schon in Richtung Kamel. Ich habe mich zwischen zwei und drei Liter Wasser eingependelt und erschrecke mich jeden Morgen, wenn ich mir streng meine Tagesration in Glasflaschenform auf den Tisch stelle. Oh, Gott! Das soll ich heute alles trinken.

Das erste Glas schütte ich mir noch wacker rein, danach versiegt mein Bedürfnis deutlich. Natürlich variiere ich auch, trinke Wasser als Tee oder Schorle, aber die Leidenschaft, mit der ich abends mein kühles Helles verköstige, erreichen diese Mixturen nicht annähernd. Dennoch, ich beiße mich….besser, saufe mich tagsüber durch. Das wiederum hat Konsequenzen. Denn was oben reinfließt, will unten wieder raus, heißt, ich muss ständig pinkeln. Warum kann ich noch heute Stunden lang unbeweglich in einem Wirtshaus sitzen und Bier in mich reinschütten, muss aber nach einem Glas Wasser schlagartig aufs Klo? „Wasser treibt“, sagte mein Vater immer. Er musste das wissen, er war Ruderer, vergaß aber zu sagen: „Kaffee in Kombination mit Wasser treibt unvorstellbar.“

So also betrete ich nach meinem Frühstücksmüsli mit Kaffee und Wasser zum Einkaufen meinen Supermarkt und stürze sofort ins Kundenklo. Manchmal ist es so knapp, dass ich mich heimlich auf der Rückseite des Gebäudes in ein Gebüsch entleere. (Männer!) Die Stelle kennt mich schon. Fahre ich mal morgens von meinem Dorf nach Hamburg, halte ich auf den 180 Kilometern mindestens drei Mal an und schaffe es oft in letzter Sekunde in das Autobahnklo. Damit ich immer auf der sicheren Seite bin, hat mir ein Freund ein mobiles Urinal für die Autofahrt geschenkt. „In Tokio bei den vielen Staus führen das alle Autofahrer mit sich“, meinte er, dabei war der noch nie in Tokio. Das Teil sieht aus wie eine breite WC-Ente, gibt es auch mit Aufsatz für Frauen. Eine sehr praktische Erfindung und funktioniert sogar. Sieht wohl in aktiver Nutzung ziemlich erbärmlich aus, aber eine vollgepisste Hose ist ungleich erbärmlicher. Letzte Woche war ich mit meinem Auto in der Werkstatt, als ich es nach Stunden wieder abholte, lag mein geliebtes Urinal demonstrativ auf dem Beifahrersitz. Der fürsorgliche Mechatroniker muss es wohl unter meinem Fahrersitz gefunden haben. Ich glaube, ich hatte einen knallroten Kopf.

Artikel

Der Beruf eines Cartoonisten ist irgendwie anders als andere. Das macht viele Menschen neugierig und bewegt sie erstaunlicherweise zu immer wiederkehrenden Fragen. Die erste ist: „Wie kommt man nur auf solche blöden Ideen?“ Die zweite: „Und wenn einem keine mehr einfallen?“ Die dritte: „Und davon kann man leben?“

Immer diese drei Fragen, in dieser stereotypen Reihenfolge, ich schwöre. Manchmal, wenn ich zufällig bei Ausstellungen oder Preisverleihungen neben jungen Kollegen*innen stehe und heimlich mithöre wie sie interviewt werden – nichts hat sich geändert. Erste Frage: „Wie kommt man nur auf solche blöden Ideen?“ Zweite…siehe oben. Es wird aber noch verrückter: wir Cartoonisten*innen geben auch immer dieselben, stereotypen Antworten. Wie gerne hätte ich mal was ganz Neues gesagt, etwas wirklich Überraschendes, etwas, was noch keiner jemals vor mir gesagt hat, so brillant und bewegend, dass es Geschichte schreibt, aber denkste. Ich quatsche immer den selben Stuss. Manchmal schäme ich mich richtig, wenn ich ein Interview von mir in der Zeitung lese. Ich denke oft, was redest du denn da für einen Scheiß? Es wäre schön, Peter, wenn du beim Denken nicht so viel denken würdest. Mitunter hat der Redakteur auch meine Antworten entweder falsch verstanden oder nicht richtig zugehört. Da hab ich dann „Hannes Wader studiert“, dabei habe ich mit ihm studiert und in der Schule war ich nicht der „Klassensprecher“, sondern der Klassenclown.

Wenn mich aber die ersten Freunde anrufen und mir zu dem „super Artikel in der Zeitung“ gratulieren, dann finde ich, egal, Hauptsache du bist in der Presse. Aber beim nächsten Mal, da haue ich dann dermaßen geistreiche, grandiose Sätze raus, dass alle nur noch stöhnen.
Übrigens: Dies ist mein 300ster Blog! Wie mir immer was einfällt? Also dazu darf ich kurz Sokrates zitieren….

Erkundigung

Ein Blick auf die Wetter-App macht mich froh. Endlich mal wieder Unwetter, endlich ist Sturm mit Orkanböen angesagt. Draußen dröhnt die Naturgewalt, die Böen zerren an meinem Haus und lassen die Ortgangbleche am Dach scheppern. Die Bäume biegen und schütteln sich und selbst das letzte, hartnäckige Herbstblatt muss jetzt aufgeben.

In unserer Straße entwurzelt sich eine Birke. Ich schaue sorgenvoll auf die alte Apfelbaum-Oma in meinem Vorgarten, aber die knorrige alte Dame hat schon alle Unwetter überlebt, wird wahrscheinlich auch mich überleben. Kaum ist der Sturm vorbei, erklärt sich, warum ich diese Naturgewalt so liebe: plötzlich melden sich nämlich alte, oftmals verschollen geglaubte Freunde und fragen nach Jahren einfach mal so unverbindlich nach: „Alles gut bei dir?“ Ja, sie hätten da in den Medien gelesen was da oben im Norden abgegangen ist und – Bing! – hätten sie irgendwie plötzlich an mich gedacht. Was wird wohl der Butschi machen? Mensch, ruf ihn doch mal an.

Diese sensationsgeilen Schweinebacken wollen doch nur hören, dass mir mein Dach weggeflogen ist und ich mich im Unterhemd in den Orkanböen an meine Habseligkeiten klammerte. Stoff, den man wunderbar im Freundeskreis verbreiten kann. Bei der Gelegenheit möchten sie auch gleich hören, wie es mir denn sonst so geht? Rücken? Cholesterin? Zucker? Gedächtnis? So weit alles im grünen Bereich? Ich äußere mich zufrieden und dankbar, weiß aber nicht, ob sie das zufriedenstellt, denn im Vergleich zu ihnen stehe ich offenbar noch ganz gut da. Als ich an ihrer Stimme merke, wie sie das quält, erzähle ich ihnen von meiner nachlassenden Sehkraft und partiellen Nackenverspannungen – und schon, ich spüre es, geht es ihnen etwas besser. Einem Freund aus Bayern habe ich sogar gebeichtet, dass ich nur noch fünf Mal die Woche Sex habe. „Du Armer“, meinte er dazu. Klang irgendwie nicht glaubhaft.

App, App, hurra!

Ganz einfach doof in den Wald gehen und die Seele baumeln lassen, das war gestern. Nachdem mich eine Bekannte gefragt hatte, wie viele Kilometer ich denn täglich laufe und ich nur „Ich glaub, so etwa…keine Ahnung“ geantwortet habe, und sie einfach nicht begreifen konnte, dass ich das nicht wusste, wurde mir bewusst: ich bin out. Ehrgeizig wie Theresa ist, ließ sie auch nicht locker, wollte es unbedingt von mir wissen. Mir ist eigentlich wurscht, wer in welcher Zeit wie viel Kilometer läuft, diese stressige Phase meines Lebens habe ich hinter mir. Schien mir jedenfalls. Aber meine Neugier war geweckt. „Wie viel Kilometer läufst du alter Sack denn nun eigentlich wirklich, hä? Sag, sag! Was glaubst du, hä?“, hörte ich meinen hässlichen Gollum in mir fragen. „Sicher viel weniger als du Angeber denkst“, zischelte er. Schweig, alter Giftzwerg!

Ich schaute in meinem App-Store nach, was dort an sportmedizinischer Unterstützung angeboten wurde und entschied mich für eine App. Dank ihr weiß ich nun, dass ich heute 6, 33 Kilometer in einer Stunde und 23 Minuten (inkl. 6 Minuten Pause) walkte, davon 13:07 Minuten für einen Kilometer benötigte, mit einer durchschnittlichen Schrittlänge von 0,89 cm, dabei 377 Kalorien verbrauchte, 8345 Mal Luft geholt habe, 0,97 Liter Wasser verlor, drei Körpergasabfuhren hatte und einen Abrieb meiner Laufschuhsohle von 0,37 Millimeter verzeichnete.

Meine Gedanken galten mit 29 Minuten Anja Taylor-Joy, 19 Minuten meinem Rücken, 7 Minuten meinem Knie, 5 Minuten meiner Arbeit und drei Minuten meiner Blase. 3,72 Kilometer meiner Laufzeit habe ich auf meine Fußspitzen geschaut, 1,86 Kilometer auf Bäume, 0,35 Kilometer auf Weiden und Kühe und 11 Sekunden auf eine junge Joggerin. Der Rest meiner Blicke ging ins Nichts. Ach, und mein ökologischer Fußabdruck war 26,55 cm. Ist es nicht eine grandiose Errungenschaft, dass man das nun alles endlich weiß?