Paris?

Vor ein paar Tagen bekam ich eine Nachricht von einem lieben alten Freund aus jungen Tagen. Wir hatten früher Jahre lang zusammen Musik gemacht, in Berlin, außerhalb von Berlin, niemals aber über die Grenzen unserer Republik hinaus. Zwar hatte unserer Manager – ja, wir hatten einen umtriebigen Manager, um den uns unsere Konkurrenten in der Szene schwer beneideten – ständig versucht, mit allen Tricks in die Presse zu kommen und gelogen, das sich die Lettern bogen, u.a. von einer Anfrage des Managers der Beatles, Brian Epstein, bezüglich eines Auftritts unserer Band in London, aber es war alles Fake.

Nun also schrieb mir mein Freund: „Ich könnte mir heute nicht mehr vorstellen – wie damals, als wir in Paris waren -, noch mal auf den Eifelturm zu gehen. Komme ja nicht mal mehr drei Stockwerke hoch.“ Mir wurde ganz anders. Nicht etwa, weil ich mich selber fragte, ob ich heute noch mal auf den Eifelturm gehen könnte, sondern ganz generell: Wann waren wir mit der Band jemals in Paris? So sehr ich auch meinen Kopf anstrengte, in alten, verstaubten Zellen wühlte, ich fand keine Bilder mit der Band in Paris. Da war nichts, gar nichts. Aber alle älteren Menschen kennen das, manche sogar schon aus der Schule: man ist vergesslich. Dieser oder jener Name fällt einem nicht mehr ein, Orte, Zeiten, Musiktitel, Musiker, Schauspieler, verdammt, wie hieß der, der, mit dem, dem, der bei, bei….? Bye, bye, Erinnerung.

Nun muss nicht alles gleich ein bedrohliches Symptom sein, man hat ja voll umfänglich mit Corona wirklich genug zu tun, aber Sorgen machte ich mir schon. Warum habe ich vergessen, dass ich mal auf´m Eifelturm war? So was macht man ja auch nicht alle Tage so nebenbei. Womöglich war ich damals auch mal auf dem World Trade Center oder mit der Band zu einem Open Air Konzert auf dem Roten Platz in Moskau? Oh, Gott. Ich konsultierte einen weiteren Überlebenden aus unserer Band, der aber konnte sich, zu meiner Erleichterung nach längerem Nachdenken, auch nicht dran erinnern, dass wir mal in Paris waren. Also antwortete ich meinem Eifelturmbesteigerfreund: „Hä? Wann waren wir denn mal in Paris?“

Als Antwort erhielt ich: „Na, jetzt geht´s ja los.“ Er war in Paris uns ist zu Fuß den Eifelturm hoch und zwar mit unserem Manager. Definitiv! Zum Glück hatte ich damals in den Bandzeiten jeden Artikel eingeklebt, in dem was über die bombastischen Auftritte unserer Gruppe stand: „Teambeats bringen den Schülerball zum Kochen!“ „Teambeats rocken den Schützenhof!“ Und dann, ich traue meinen Augen nicht, finde ich einen großen Artikel mit Foto von mir vor dem Flughafen Tempelhof. Überschrift: „Peter Butschkow in Paris!“ Und los ging es mit: „Nach der Landung in Orly wurde der Bandleader der Teambeats von zwei bildhübschen Französinnen begrüßt…“ Also, ich würde mich sogar noch an eine einzige bildhübsche Französin, erinnern, meine ich. Tut mir leid, ich kannte weder, noch „hatte ich“ jemals eine Französin. (Was ich immer sehr schade fand.) Mein alter Freund kam auch nicht zur Ruhe, „Bin ich denn jetzt ganz blöd?“, lautete seine Selbstanfrage. Wir waren beide spürbar schwer verunsichert, aber umso mehr ich den Artikel las, in dem ich offenbar eine Nacht mit Johnny Hallyday gesoffen hatte und am Ende mit Brigitte Bardot im Bett landete, desto mehr erinnerte ich mich: es war alles erstunken und erlogen. Der Manager („Ist doch wurscht. Fragt kein Mensch nach. Hauptsache die Band ist in der Presse.“) wollte mit mir nach Paris, um beim ORF unsere neue Platte vorzustellen – aber ich wollte nicht. Hatte Angst vor´m Fliegen und vor der Rache meiner Freundin.

Dafür ist dann tatsächlich mein Freund und Gitarrist eingesprungen. Puh! Nun hatten wir´s. Der schrieb mir dann noch, er hätte in Paris kein Wort verstanden, wäre tatsächlich den Eifelturm hoch (garantiert nur bis zum Restaurant) und hätte sich nach einem Steak die ganze Nacht im Hotelzimmer erbrochen. Am nächsten Morgen seien sie wieder zurück nach Berlin geflogen. Jetzt konnte ich mich auch wieder dunkel daran erinnern, wie schlecht er damals nach seiner Rückkehr aussah. Er sich natürlich überhaupt nicht.