Erkundigung
Ein Blick auf die Wetter-App macht mich froh. Endlich mal wieder Unwetter, endlich ist Sturm mit Orkanböen angesagt. Draußen dröhnt die Naturgewalt, die Böen zerren an meinem Haus und lassen die Ortgangbleche am Dach scheppern. Die Bäume biegen und schütteln sich und selbst das letzte, hartnäckige Herbstblatt muss jetzt aufgeben.
In unserer Straße entwurzelt sich eine Birke. Ich schaue sorgenvoll auf die alte Apfelbaum-Oma in meinem Vorgarten, aber die knorrige alte Dame hat schon alle Unwetter überlebt, wird wahrscheinlich auch mich überleben. Kaum ist der Sturm vorbei, erklärt sich, warum ich diese Naturgewalt so liebe: plötzlich melden sich nämlich alte, oftmals verschollen geglaubte Freunde und fragen nach Jahren einfach mal so unverbindlich nach: „Alles gut bei dir?“ Ja, sie hätten da in den Medien gelesen was da oben im Norden abgegangen ist und – Bing! – hätten sie irgendwie plötzlich an mich gedacht. Was wird wohl der Butschi machen? Mensch, ruf ihn doch mal an.
Diese sensationsgeilen Schweinebacken wollen doch nur hören, dass mir mein Dach weggeflogen ist und ich mich im Unterhemd in den Orkanböen an meine Habseligkeiten klammerte. Stoff, den man wunderbar im Freundeskreis verbreiten kann. Bei der Gelegenheit möchten sie auch gleich hören, wie es mir denn sonst so geht? Rücken? Cholesterin? Zucker? Gedächtnis? So weit alles im grünen Bereich? Ich äußere mich zufrieden und dankbar, weiß aber nicht, ob sie das zufriedenstellt, denn im Vergleich zu ihnen stehe ich offenbar noch ganz gut da. Als ich an ihrer Stimme merke, wie sie das quält, erzähle ich ihnen von meiner nachlassenden Sehkraft und partiellen Nackenverspannungen – und schon, ich spüre es, geht es ihnen etwas besser. Einem Freund aus Bayern habe ich sogar gebeichtet, dass ich nur noch fünf Mal die Woche Sex habe. „Du Armer“, meinte er dazu. Klang irgendwie nicht glaubhaft.