Wundermittel

Mein Postzusteller reicht mir einen Haufen Briefe und zwinkert mir zu. „Auf die Gesundheit“, sagt er und eilt weiter. Von den acht Briefen sind sieben Werbung, nur einer ist vom Finanzamt, alle anderen bezeugen auf den Umschlägen mit „Nie wieder Schmerzen“ oder „Vom Rollstuhl zum Triathlon!“, dass sich die Hersteller von neuartigen Heilmitteln auf mich eingeschossen haben. Sie versprechen mir, dass ich in Zukunft keine Brille, Gehhilfe oder Appetitzügler mehr brauche. Nie wieder Blutdruck- oder Cholesterinsenker, Schmerztabletten oder Blutver-dünner! Vorbei! Meine Zellen erneuern sich, mein Knochengerüst baut sich komplett wieder auf, meine Lebenslust explodiert, kurzum, es findet eine radikale Runderneuerung statt. In Zukunft reicht eine Dose Babycreme. Mehr nicht. Ich lese verzückt, in welchen Regionen dieser Welt Pflanzen wachsen oder Wesen leben, in deren Substanzen wahre Wunderwirkungen schlummern. Auf der Suche nach ihnen tauchen engagierte Homöopathen in die Tiefen der Ozeane, klettern auf die höchsten Berge oder schlagen sich durch die dunkelsten Wälder. Ich nutze hier die Gelegenheit, um zu bekennen, dass ich vor nicht allzu langer Zeit klammheimlich der Werbung für eines ihrer Präparate, das in meinem Herzen die unwichtigen Dinge des Lebens von den Wichtigen trennen sollte, verfallen bin. Und es wirkte: die lästigen Mahnungen des Herstellers nach Begleichung seiner Forderungen werfe ich ungelesen und fröhlich in den Mülleimer.

Zensur

Am 3.1.2022 traf mich zum dritten Mal die Abstrafung eines kommunikativen Internetgiganten: eine Abmahnung von Instagram, wo ich regelmäßig Cartoons von mir poste. „Du musst dort dabei sein“, riet mir einst vor zwei Jahren einer meiner Söhne, „sonst bist du weg vom Fenster.“ Wer will denn schon „weg vom Fenster“ sein? Das bedeutet doch, nichts mehr sehen von draußen, nichts mehr verstehen was läuft, ausgestoßen aus dem pulsierenden Leben, vom Zeitgeist gekappt – Endstation Friedhof. Nein, das will ich nicht. „Facebook“, meinte mein Sohn noch, „sei ja ganz nett aber längst der Tummelplatz der Alten, quasi der Gemeinschaftsraum des digitalen Altenheims.“ Bevor ich mich und meine Facebookfreunde vehement verteidigen konnte, war er rasch wieder im Netz abgetaucht.

Anlass meiner Abmahnung von Instagram („…beim nächsten Verstoß gegen unsere Richtlinien werden wir dein Konto, einschließlich deiner Beiträge und deines Archivs, möglicherweise löschen.“) war ein Cartoon von mir (siehe Anlage) in dem ich einen nackten Mann am Strand gezeichnet habe, an dessen Pimmel eine Weihnachtsbaumkugel hängt. Dies sollte eine Satire darauf sein, dass sich die Menschen real Nadeln oder Ringe durch Lippen, Münder, Zungen, Hoden, Schwanz und sogar Schamlippen bohren, kurzum piercen. Da ist eine bunte Weihnachtskugel am Glied doch eine witzige Idee, dachte ich. Hatte mich sowieso schon gewundert, dass nicht längst vor mir ein Kollege/eine Kollegin darauf gekommen war. Auf Instagram verletzte ich damit also die „…Richtlinien aus folgendem Grund: Nacktheit oder sexuelle Handlungen“. Ich habe mich sofort an den lieben Gott gewandt (www.derschöpfer.de) und ihm den Fall geschildert. Seine Antwort kam prompt:

Lieber Peter, bei der Konstruktion des Menschen in unserem himmlischen Hause wurde auf höchste Perfektion und Funktionalität geachtet. In der Grundausstattung ist unser Mensch in ganzer Schönheit bewusst nackt und funktional gehalten. Eine Unterscheidung in positive oder negative Organe entspricht in keiner Zone dieser, unserer Schöpfung unseren himmlischen Statuten von Reinheit und Wahrhaftigkeit. Jedwede ideologische oder moralische Anmaßung selbsternannter Zensoren oder Scheinheiligen, diese gottgewollte Natürlichkeit mit Scham oder Schuld zu belegen, gar zu bestrafen oder mit Buße zu belegen, verurteilen wir aufs Schärfste. P.S. Gegen die versauten Amis mit ihrer blutrünstigen, krankhaft perversen, weltweiten Porno- und Filmindustrie, läuft bei uns übrigens ein Himmelsausschlussverfahren. Mit freundlichen Grüßen, OmG

Ich hab sofort geantwortet und mich bei Gott herzlich bedankt.
Er antwortete nur: „Sehr gerne.“

 

omw

Cherry, die junge Tochter einer Bekannten aus meinem Ort, wollte sich etwas von mir abholen und per WhatsApp wissen, ob ich zu Hause sei. Ich antwortete ihr: „Ja, kannst kommen.“ Daraufhin sie: „omw“. Zugegeben, im Netzjargon bin ich nicht ganz perfekt, kenne aber sehr wohl „omg“, ein Akronym für „oh my god“, auf gut Deutsch „Oh mein Gott!“, ein Ausruf des Entzückens oder Entsetzens gleichermaßen. Wie oft hat man den selber schon im Leben ausgestoßen.

In jungen Jahren haben das angesichts meiner Person in Badehose die hübschesten Mädchen geschrien, allerdings weil ich so dünn war. „LoL“, korrekt „Laughing out Loud“, ist mir aus dem Netzjargon auch noch ein Begriff und bedeutet so viel wie „Ich lache laut“. Dieses LoL habe ich immer gerne gemocht, „omw“, wie gesagt, sagte mir aber erst mal gar nichts. Ich vermutete, Cherry wollte mir vielleicht „okay man, wonderful“ sagen?

Damit ich besser vorbereitet war, also cooler auf Cherrys Botschaft reagieren konnte, habe ich mich zeitgleich an Judith, die Freundin meines ältesten Sohnes gewandt, und sie gefragt, ob sie wüsste, was „omw“ bedeutet. Und „gsd“, also Gott sei Dank, antwortete sie mir auch sofort auf WhatsApp: „omw“ heißt „on my way“, schrieb sie. Aha! Cherry wollte mir also sagen, sie sei bereits unterwegs zu mir. Gut, hab ich wieder was gelernt. Und tatsächlich stand sie fünf Minuten später vor meiner Tür. „Wusstest du denn, was „omw“ bedeutet?“, fragte sie mich verschmitzt. Diese lästerliche Frage konnte ich, gut vorbereitet wie ich war, cool mit „Na, „on my way“, was sonst?“ kontern. Als ich dann noch breit grinsend „LoL“ sagte, war sie platt.

Als sie wieder fuhr, schickte ich ihr, so richtig auf den Geschmack gekommen, noch eine WhatsApp hinterher: „gwh“. Ich wusste nicht, ob sie wusste, dass ich damit „good way home“ meinte, nachgefragt hat sie jedenfalls nicht, sie wollte sich sicher keine Blöße geben. Übrigens, meinem zuständigen Finanzamt, das mich auf die unverzügliche Abgabe meiner Umsatzsteuererklärung hingewiesen hatte, habe ich gleich danach mit „LmaA“ geantwortet. Wenn sie beleidigt nachfragen, erkläre ich ihnen das gerne: „LmaA“ bedeutet „Love me as-soon as“, ein Akronym für „Liebt mich so bald wie möglich“. Na, da haben sie was zum Knabbern. Zeit haben sie ja.

Food-City

„Immer geradeaus, und dann den zehnten Gang, direkt am Maggi-Center links, und an der Kreuzung, beim großen Coffee-Tower, rechts. Danach den zweiten Gang, direkt am Dressing-Corner wieder links. Dann sehen Sie schon.“ Ich bedanke mich und fahre meinen Einkaufswagen in die empfohlene Richtung, biege aber einen Gang zu früh ab und lande in der Pasta-Street. Nach gefühlt Millionen Nudeln erreiche ich eine Abzweigung in Richtung Milki Way. Am Asia-Food-Circle nehme ich die zweite Ausfahrt, lande direkt im Bio-Park und verlasse ihn am Veggie-Garden. Endlich erreiche ich die Cooler-Highway mit den Hunderttausend Joghurtbechern und lege eine Mango-Papaya-Töpfchen in meinen Wagen. Wegen erhöhten Verkehrsaufkommens bei den Sonderangeboten wähle ich den Umweg über den Hot-Spot mit den scharfen Gewürzen und lande wieder bei der freundlichen Frau von vorhin. „Na? Alles gefunden?“, fragt sie. „Ja“, sage ich glücklich reiche ihr meine Come-Back-Card.

Anlage

Es ist ruhig im Supermarkt, ich schiebe meinen Einkaufswagen zur Kasse und lege die Waren auf das Laufband. Im flotten Tempo scannt die Kassiererin alles ein und sagt freundlich:„Einunddreißigvierzig.“ Ich hole meine EC-Card heraus, starre auf das Kartengerät und frage doof: „Was muss ich tun?“ Sie antwortet „Ranlegen oder reinstecken, wie Sie wollen.“ Kurze Pause, dann grinst sie und fängt an zu kichern. Die Kollegin an der Kasse gegenüber tut es auch – und ich kann nun ebenfalls nicht anders und pruste los. Bin ich gerade dass Ziel weiblichen Sexismus geworden oder einfach nur zweier phantasiebegabter, humorvoller Frauen, die rollenentspannt über die bildliche Komik des Wortes „anlegen“ lachen können? Ich jedenfalls amüsiere mich bei dieser Vorstellung noch köstlich als ich schon draußen bin. Ist ja genau mein Humor. An der Ausgangstür lese ich: „Schön, dass Sie da waren.“ Finde ich auch.

Verlassen

Worst Case Szenario: mein Internetzugang streikt. Vor einer Stunde noch war ich drin, nun diese rote Warnlampe an meiner Fritz Box.

Heißt, ich bin draußen, ein Ausgestoßener aus dem digitalen Paradies. Ich tue, was ich gelernt habe: Stecker ziehen, dreißig Sekunden warten – und wieder rein. Das berühmte Reset. Normalerweise funktioniert das, aber nicht heute. Warum elektronische Bauteilchen plötzlich den Wunsch verspüren, dich zu ärgern – ich verstehe das nicht. Aber ich verstehe ja vieles nicht. Also ziehe ich alle Stecker raus, die sich im Raum befinden. Ein Versuch. Nix. Ich stelle nebenbei fest, dass auch mein Telefon nicht mehr funktioniert. Aha! Man hat sich gegen mich verschworen. Wahrscheinlich die Achse Merkel-Schwan-Drosten-Gates.

Ich rufe über mein Handy einige Nachbarn an, ob sie gleiche Boshaftigkeit erfahren. „Nö, bei uns ist alles in Ordnung.“ Warum klingt das immer so ein klein wenig hämisch? Ich ziehe noch mal alle Stecker raus, sogar den von der elektrischen Zahnbürste und dem Nasenhaarschneider. Ein Versuch. Ohne Erfolg. Da sitze ich nun, schlagartig arbeitslos. Mein elektronisches Zeichentablett ist schwarz wie die Nacht. Tot. Es gibt Schlimmeres, sage ich mir und gehe raus an die frische Luft, bisschen spazieren, aber in meinem Kopf dreht sich alles um dieses Problem. Er wird nicht frei. Wieder zurück, kontaktiere ich einen örtlichen Fachmann. Er rät mir, mal den Stecker zu ziehen und drei Minuten zu warten. Ziehen kenne ich, drei Minuten sind mir neu. Also daran liegt es, ich muss der Technik mehr Zeit lassen zur Erholung. Ich ziehe also wiederum die Stecker und zähle bis 180. Und? Nix. Ich rufe noch mal den Fachmann an. Er ruft mal bei meinem Anbieter an, sagt er. Mir ist das recht, denn bei technischen Fragen stelle ich mich generell gerne blöd an.

Der Anbieter weiß nichts von einer Störung in meinem Bereich, nein, alles okay. Schade. Ich spüle also das erstaunte Geschirr, räume einen entsetzten Schrank auf, putze meine verschreckten Schuhe und die verstörten Fenster, schneide mir die verdutzten Fußnägel und koche mir anschließend Spaghetti. Hab ja Zeit. Ab und zu besuche ich meinen trostlosen Arbeitsplatz und rede mit ihm über die guten alten Zeiten. Gegen 16:30 Uhr halte ich es nicht mehr aus, ich rufe – persönlich! – bei meinem Internetversorger an. In der Warteschleife esse ich einen Obstsalat und lasse mir von einer sanftmütigen, mich um Geduld bittenden Frauenstimme die Ohren spülen. Dann endlich: „Guten Tag, mein Name ist Melanie, was kann ich für Sie tun?“ Ich danke Gott und Melanie und klage ihr mein Leid. Sie ist freundlich und warmherzig, macht meinen Kummer zu ihren. Ich würde jetzt gerne meinen Kopf auf ihre starke Schulter legen. „Na, dann schaue ich mal nach ihrem Anschluss“, sagt sie fürsorglich und vermittelt mir ein mütterliches Gefühl von Geborgenheit. Stille. Sie schaut. Ich warte und stoße säuerlichen Apfelgeschmack auf. Dann höre ich sie einen erstaunlichen Satz sagen: „Ich sehe gerade, wir haben heute Vormittag bei Ihnen was umgestellt.“

Er hallt lange in mir nach. „Und warum hat man mich nicht vorher davon informiert?“ möchte ich formulieren, werde aber meine Mutti nicht mit patzigen Fragen verletzen, niemals. Sie führt mich weiter einfühlsam wie einen Blinden durch diverse Menüs, bleibt auch bei meinen blödesten Fragen und Kommentaren geduldig und wartet sogar endlose Minuten, die ich benötige, um in meinem Chaos ein Passwort zu finden. Dann ist es so weit, ich bin wieder drin, ich gehöre wieder dazu! Ich sage: „Ich liebe Sie.“ Sie mich auch, meint sie. Wir trennen uns schweren Herzens, weil sie leider Feierabend machen muss. Im Überschwang meines Glückes bestelle ich mir anschließend bei Amazon schwarze Herrensocken, Größe 44/46, im Dreierpack. Bestimmt von minderjährigen Chinesen gestrickt. Scheiß drauf, man muss sich auch mal was gönnen.

Willkommen!

Besuch, das klingt nach Wiedersehensfreude und Herzlichkeit und alte Freunde wieder mal innig in den Arm nehmen, sie zu verköstigen, viel zu fragen, viel zu erzählen. „Besuch ist wie Fisch, nach drei Tagen stinkt er“, heißt es. Nicht dieser Besuch, niemals. „Fühlt euch wie Zuhause“, sage ich und meine es so. Frank nimmt das wörtlich und breitet erst mal sein Rasierzeug im Bad aus. Anika hängt unseren Garderobenständer mit ihrer Kleidung voll und stellt ihre Pantoffeln in die Diele. Sie schlafen lange und frühstücken noch, während unsere Kaffeetassen längst gespült sind. Frank latscht gerne noch in ausgeleierten Unterhosen herum, während Anika endlos duscht und sich anschließend mit einem turmhohen Badehandtuchturban an den Tisch setzt. Er schlürft laut seinen Kaffee, sie popelt sich aus den Brötchen den Teig heraus. Danach raucht er draußen eine Zigarette, während sie mit Yoga die Sonne begrüßt. Sie verträgt keine Tomaten und Zwiebeln, er mag kein alkoholfreies Bier und geschlossene Fenster. Sie wäscht ungern ab, er stößt gerne auf. Nach einer Woche fahren sie wieder. „Kommt bald wieder“, flehen wir. Seine ungepflegte elektrische Zahnbürste schicke ich ihm mit der Post nach.

Paris?

Vor ein paar Tagen bekam ich eine Nachricht von einem lieben alten Freund aus jungen Tagen. Wir hatten früher Jahre lang zusammen Musik gemacht, in Berlin, außerhalb von Berlin, niemals aber über die Grenzen unserer Republik hinaus. Zwar hatte unserer Manager – ja, wir hatten einen umtriebigen Manager, um den uns unsere Konkurrenten in der Szene schwer beneideten – ständig versucht, mit allen Tricks in die Presse zu kommen und gelogen, das sich die Lettern bogen, u.a. von einer Anfrage des Managers der Beatles, Brian Epstein, bezüglich eines Auftritts unserer Band in London, aber es war alles Fake.

Nun also schrieb mir mein Freund: „Ich könnte mir heute nicht mehr vorstellen – wie damals, als wir in Paris waren -, noch mal auf den Eifelturm zu gehen. Komme ja nicht mal mehr drei Stockwerke hoch.“ Mir wurde ganz anders. Nicht etwa, weil ich mich selber fragte, ob ich heute noch mal auf den Eifelturm gehen könnte, sondern ganz generell: Wann waren wir mit der Band jemals in Paris? So sehr ich auch meinen Kopf anstrengte, in alten, verstaubten Zellen wühlte, ich fand keine Bilder mit der Band in Paris. Da war nichts, gar nichts. Aber alle älteren Menschen kennen das, manche sogar schon aus der Schule: man ist vergesslich. Dieser oder jener Name fällt einem nicht mehr ein, Orte, Zeiten, Musiktitel, Musiker, Schauspieler, verdammt, wie hieß der, der, mit dem, dem, der bei, bei….? Bye, bye, Erinnerung.

Nun muss nicht alles gleich ein bedrohliches Symptom sein, man hat ja voll umfänglich mit Corona wirklich genug zu tun, aber Sorgen machte ich mir schon. Warum habe ich vergessen, dass ich mal auf´m Eifelturm war? So was macht man ja auch nicht alle Tage so nebenbei. Womöglich war ich damals auch mal auf dem World Trade Center oder mit der Band zu einem Open Air Konzert auf dem Roten Platz in Moskau? Oh, Gott. Ich konsultierte einen weiteren Überlebenden aus unserer Band, der aber konnte sich, zu meiner Erleichterung nach längerem Nachdenken, auch nicht dran erinnern, dass wir mal in Paris waren. Also antwortete ich meinem Eifelturmbesteigerfreund: „Hä? Wann waren wir denn mal in Paris?“

Als Antwort erhielt ich: „Na, jetzt geht´s ja los.“ Er war in Paris uns ist zu Fuß den Eifelturm hoch und zwar mit unserem Manager. Definitiv! Zum Glück hatte ich damals in den Bandzeiten jeden Artikel eingeklebt, in dem was über die bombastischen Auftritte unserer Gruppe stand: „Teambeats bringen den Schülerball zum Kochen!“ „Teambeats rocken den Schützenhof!“ Und dann, ich traue meinen Augen nicht, finde ich einen großen Artikel mit Foto von mir vor dem Flughafen Tempelhof. Überschrift: „Peter Butschkow in Paris!“ Und los ging es mit: „Nach der Landung in Orly wurde der Bandleader der Teambeats von zwei bildhübschen Französinnen begrüßt…“ Also, ich würde mich sogar noch an eine einzige bildhübsche Französin, erinnern, meine ich. Tut mir leid, ich kannte weder, noch „hatte ich“ jemals eine Französin. (Was ich immer sehr schade fand.) Mein alter Freund kam auch nicht zur Ruhe, „Bin ich denn jetzt ganz blöd?“, lautete seine Selbstanfrage. Wir waren beide spürbar schwer verunsichert, aber umso mehr ich den Artikel las, in dem ich offenbar eine Nacht mit Johnny Hallyday gesoffen hatte und am Ende mit Brigitte Bardot im Bett landete, desto mehr erinnerte ich mich: es war alles erstunken und erlogen. Der Manager („Ist doch wurscht. Fragt kein Mensch nach. Hauptsache die Band ist in der Presse.“) wollte mit mir nach Paris, um beim ORF unsere neue Platte vorzustellen – aber ich wollte nicht. Hatte Angst vor´m Fliegen und vor der Rache meiner Freundin.

Dafür ist dann tatsächlich mein Freund und Gitarrist eingesprungen. Puh! Nun hatten wir´s. Der schrieb mir dann noch, er hätte in Paris kein Wort verstanden, wäre tatsächlich den Eifelturm hoch (garantiert nur bis zum Restaurant) und hätte sich nach einem Steak die ganze Nacht im Hotelzimmer erbrochen. Am nächsten Morgen seien sie wieder zurück nach Berlin geflogen. Jetzt konnte ich mich auch wieder dunkel daran erinnern, wie schlecht er damals nach seiner Rückkehr aussah. Er sich natürlich überhaupt nicht.

Edelbitter

Mein Einkauf ist auf dem Laufband an der Kasse. Banane – Piep! – Blumenkohl – Piep! – Milch – Piep! – Nudeln – Piep! – diverse weitere Pieps werden von der Kassiererin über den Scanner gezogen. Sie lässt die eingescannten Artikel der Reihe nach zur Ablagefläche runterrutschen, wo ich sie in fließender Bewegung in Empfang nehme und in meinen Einkaufwagen lege.

Hä? – denke ich, was ist das denn? Eine Packung „Schwarze Herrenschokolade, Edelbitter, hauchdünn“? Hab ich nie gekauft. Ich hasse Edelbitterschokolade. „Täfelchen“, lese ich, ach wie süß. „Mit 60% Kakao“, steht auch noch drauf. Auch mit 100% Kakao, nein, nochmals nein! Also sage ich freundlich aber bestimmt: „Diese Edelbitterschokolade gehört aber nicht mir.“ „Lag aber bei Ihrem Einkauf“, antwortet die Kassiererin, eine muskulöse Blondine, mit der man sehr gerne friedlich auskommen möchte.

Ich blicke zurück zur Kundin, eine junge Frau hinter mir, sie hat nur zwei Kosmetikartikel auf dem Band und schaut weg. „Verzeihung“, rede ich sie an, „gehört die Schokoladentafel vielleicht Ihnen?“ „Mir?“, fragt sie verdutzt, „nein, würde ich niemals kaufen, ich hasse Edelbitterschokolade.“ „Aber irgendjemand muss mir doch diese Tafel in meinen Wagen gelegt haben?“, bemerke ich. „Wie meinen Sie das?“, fragt mich die junge Frau. „Nein, bitte, ich möchte Ihnen nichts unterstellen“, antworte ich, „aber vielleicht haben Sie das unbewusst getan?“ Sie starrt mich an. „Sie meinen, die Edelbitterschokolade aus der Kosmetikabteilung in meinen Wagen gelegt? Steht vielleicht „Gut für die Haut“ drauf?“, fragt sie spitz. „Schokolade befeuert positive Botenstoffe im Körper und die wiederum sind folglich auch gut für die Haut. Durchaus ein komplexer Zusammenhang. Also? Warum nicht? Ganz unbewusst?“, gebe ich zu bedenken. „Noch bin ich klaren Geistes, guter Mann“, antwortet sie scharf und ich denke kurz, woher weiß sie, dass ich ein guter Mann bin?

Inzwischen haben sich weitere Kunden in die Schlange vor der Kasse eingeordnet und fragen sich spürbar, warum es da vorne nicht weitergeht. Auch die Kassiererin wird ungeduldig. „Aber alle weiteren Artikel die Sie gekauft haben, sind so weit okay? Nur, damit ich mich entspannen kann“, sagt sie. „Alle wunderbar, nur diese Edelbittertafel nicht“, antworte ich „Die habe ich nun aber bereits eingegeben“, sagt sie mit frostigem Unterton. „Können Sie das nicht draußen weiter diskutieren?“, kommt eine Stimme aus der Schlange. „Möchte jemand von Ihnen vielleicht eine Tafel Edelbitterschokolade?“, rufe ich. Da meldet sich eine alte Oma aus der Schlange an der Kasse nebenan: „Ha! Sie haben meine Schokolade genommen? Unerhört! Ich wundere mich schon die ganze Zeit, wo denn die Tafel Edelbitter ist?“ „Sie stehlen alten Damen die Artikel aus dem Einkaufswagen?“, herrscht mich die Kassiererin an. „Und verleumden die Kundschaft“, ergänzte die junge Frau. „Polizei!“, keift jemand, da stürze ich schon fluchtartig nach draußen. „Wir wissen wo du wohnst!“, höre ich noch aus der Ferne.

Das Signal

Vor einiger Zeit sprach mich Frau Hansen, meine Nachbarin, an. Als ältere, allein lebende Dame und mache sie sich Sorgen, dass keiner merken würde, „wenn mit mir mal was passiert ist“. Eine Bekannte sei unlängst gestürzt und hätte zwei Tage hilflos in ihrer Wohnung gelegen, bevor sie jemand gefunden habe. „Sollten meine Vorhänge im Schlafzimmer bis 9:30 Uhr nicht aufgezogen sind, dann stimmt etwas nicht mit mir“, sagte sie zu mir. „Eine gute Idee, dann weiß ich Bescheid“, antwortete ich. Drei Monate später schaue ich an einem Samstagmittag zufällig zu ihrem Haus herüber und sehe, dass ihre Vorhänge noch zugezogen sind. Eine Viertelstunde später rücken Polizei, Feuerwehr, Notarzt, das Technische Hilfswerk, ein Minenräum-kommando und – für den Fall einer Geiselnahme – das SEK an. Die Einheit stürmt das Haus und sichert dem Bereitschaftsarzt den Zugang zur Zielperson. Sanitäter tragen die festgeschnallte, medizinisch notversorgte Frau Hansen auf der Trage zum Krankentransporter. Am späten Morgen klopft sie putzmunter an meine Tür, reicht mir einen selbstgebackenen Kuchen und bedankt sich herzlich: „Wie beruhigend, so einen aufmerksamen Nachbarn zu haben.“ Ihr sei überhaupt nichts passiert, sie wollte mich nur mal testen.