Unwürdig

Der singenden Kunst baut man bombastische Opernhäuser, der Schauspielkunst grandiose Theater, der Kunst der Malerei prächtige Museen, der göttlichen Botschaft gewaltige Kirchen und der Kunst des Herrschens prunkvolle Schlösser. Und was ist mit dem Humor? Dem man immense Wirkung auf Mensch und Gesellschaft zuschreibt, magische, heilende Kräfte attestiert, ja sogar für den einzig Befähigten hält, als global Regierender der Welt den ewigen Frieden zu bringen? Wo steht sein würdiges Haus, in dem man die Kunst der Karikatur preisen und diese famosen Energie genießen kann? Vielleicht dort, wo einst Heinrich Zille seinen genialen Pinsel schwang, in der Hauptstadt Berlin? Vielleicht in Karl Valentins München? Weit gefehlt. Geld für die Kunst des Lachens? Diesem stoßartigen, lauthalsen Geräusch mit dem unkontrollierten Körperzucken? Abgelehnt! Bitte wenden Sie sich doch an den nächsten Arzt oder Apotheker.

Der Ausbruch

Seit gut zwei Wochen starre ich wir paralysiert auf Bilder, die täglich in den Medien zu sehen sind und kann es einfach nicht glauben: Der Vulkan Cumbre Vieja auf La Palma ist ausgebrochen. Unweit von seinem Lavafluss hatten wir mal 22 Jahre ein Ferienhaus, quasi nebenan. Wenn die ausgewanderten Freunde damals wieder mal die Vorteile und Schönheiten „ihrer“ Insel priesen und damit ihren Umzug verteidigten, wenn sie den europäischen Kontinent mit all seinen Gefahren provozierend in düsteren Farben malten, dann zogen wir in unserer Verzweiflung die Karte der palmerischen Vulkanbedrohung und erntete dafür nur Gelassenheit: „Kein Thema, da leben wir längst nicht mehr.“

Zugegeben, ich hab ich das dreist auch für unmöglich gehalten und hörte ihre Zuversicht gerne, denn immerhin stand auch unser Haus im Einzugsbereich eines Vulkans. Seine Energie glaubte ich immer unter mir zu spüren, war oft unruhig, träumte völlig irres Zeug und wurde ab und zu mal von massiven Gemütsstimmungen befallen, die mir sonst in dem Maße fremd waren. Als guten Geist, als Beschützer unseres Hauses, habe ich dann demonstrativ eine gewaltiges Lavasteinfragment vom letzten Ausbruch in unseren Garten stellen lassen und ihn mit seinen Runzeln vom Lavafluss speziell für unsere Söhne als „alten Mann“ bezeichnet, der auf uns alle aufpasst. Bis zum Verkauf meines Hauses hatte er seine Aufgabe vorbildlich erfüllt, warum er 2021 plötzlich keine Lust mehr hatte, macht mich sprachlos. Denn durch Todoque, direkt nebenan, kroch nun vor meinen Augen und denen der ganzen Welt auf den Bildschirmen eine riesige schwarze Welle von Lava und fraß vor meinen entsetzten Augen der Reihe nach die Häuser, Gärten und Pools vieler meiner Freunde und Bekannten. U.a. das Haus von Klaus und Karin, von Martin, Manuela, Tina und Axel, Stück für Stück, wie ein Monster legte es sich über die Dächer, umschlang die Wände, ließ Scheiben zerbersten, Mauern einstürzen und Gasflaschen explodieren. Ein Inferno. Die ganze Welt sah zu, wie die Lava sich spektakulär in den Garten und den Pool von Manuela stürzte. Und erschauderte.

Ich kannte jeden Winkel vieler ihrer Immobilien, hab dort jahrelang wundervolle Stunden verbracht, den Träumen und Optimierungswünschen ihrer Besitzer gelauscht, ihren Stolz gespürt und mich an ihrem Glück erfreut. Sie waren angekommen und hatten ihren Platz gefunden. All ihre Behördengänge, Kosten, Mühen, Sorgen und Gedanken waren mir nur zu bekannt. Viele, wie ich, mussten sich richtig lang machen für diesen Ferientraum und sich mit Zimmervermietung oder kurzfristigen Krediten über mach klamme Runden helfen. Die Pflege und Gestaltung der Räume und Gärten, die banale Beschaffung einer neuen Lampe, einer Matratze, eines Wäscheständers oder einer Knoblauchpresse, alles das war auf La Palma in den 80er/90ziger Jahren – auch später noch – teils ein abenteuerliches Unterfangen. Hunderte kleiner Besorgungen und Erledigungen, um das heimische Nest, Haus oder Wohnung, zu erhalten und zu verschönern. Jeder kennt das. Und nun liegt das alles unter einem steinernen Leichentuch begraben.

Angenehme Temperaturen, magisches Licht, klappernde Fächerpalmen und über allem ein unvergleichliches Blau, geziert von flauschigen Passatwolken, dieser Traum ist La Palma weiterhin – aber nun sind da diese unvorstellbaren Bilder. Wie aus einem billigen Lothar Emmerich Katastrophenfilm. Das erste Foto, eine Minute nach dem Ausbruch schoss Manuela von ihrem Haus. Schneeweißes Mauern, sonniges, strahlendes Szenario und im Hintergrund eine störende Rauchwolke, als würde ein Einheimischer Autoreifen verbrennen. Und dann zeigte die Natur, wozu sie fähig ist. Sie nimmt keine Rücksicht auf irgendwas, nicht mal eine Kirche war ihr heilig, wälzte sich wie ein Drache feuerspeiend in Richtung Meer.

Ja, wer unter Vulkanen, dicht an Bergrücken, Meeren oder Flüssen baut, spielt Russisch Roulette. Die menschliche Hybris wird bestraft. Ich weiß. Aber der Natur bei so einem Wutausbruch zuzuschauen, ist furchterregend und unglaublich erschütternd. Ältere Palmeros erleben den dritten Vulkanausbruch seit 1949. Sie werden „tranquillo“ sagen, einen Cortado trinken, in die Hände spucken und weiter leben. Mit ihren Vulkanen.

Vernissage

Charlotte lädt zur Vernissage. Montag, 18 Uhr, für Getränke und Häppchen ist gesorgt. Ich plane diesen Termin ein, bette ihn zwischen Arbeitsende und Sofa. Schnell geduscht, frisches Hemd und Deo. Im Auto noch mal auf WhatsApp die Einladung gelesen: Montag, 16 Uhr in Oeversee im Akademieweg 6. Na, toll. 16 Uhr nicht 18 Uhr, Butschkow, du Trottel. Aber die 6 und die 8 sind sich optisch sehr verwandt, entschuldige ich mich selber.

Wenn ich bisschen Tempo mache, bin ich pünktlich um 18 Uhr zu den Abschiedsworten da, vielleicht ist noch ein Fischbrötchen übrig und die Künstlerin versöhnungsfähig. Ich gebe die Adresse in meinen Bordcomputer ein und bin schon auf der Straße. Gegen 17:45 Uhr nähere ich mich meinem Ziel. Frau Navi meint, ich soll jetzt weiter geradeaus fahren, mach ich aber nicht, ich biege lieber rechts ab und folge ganz traditionell, so wie früher, einem offiziellen Hinweisschild nach „Oeversee“. Madame schweigt verdutzt. Ich liebte es schon immer, Frauen mit unerwarteten Handlungen zu verwirren. Endlich hat sie begriffen: „Bitte vier Kilometer geradeaus.“ Nach drei Kilometern ist die Straße wegen Bauarbeiten komplett gesperrt. Na bravo. Ich biege scharf links ab und warte auf neue Instruktionen – und endlich kommen sie: „Hundert Meter halb rechts…nach fünfzig Metern rechts….links…rechts…halb rechts…scharf links…geradeaus…nach hundert Metern…“

Ich durchquere Wohnsiedlungen, Bauernhöfe, passiere Kreuzungen, kleine Brücken, folge brav ihrem „Bitte wenden“, erreiche manche Stellen zum zweiten, mitunter zum dritten Mal, erkenne inzwischen Häuser, Gärten und Garagen wieder, sogar Menschen, die langsam auf mich aufmerksam geworden sind und mir ein fröhliches „Moin-Moin!“ zuwinken. Jetzt wäre die Chance neue Freundschaften zu schließen, aber ich muss dringend zu Charlotte.

Es ist bereits 18:35 Uhr und ich kreise, irgendwo im Nirgendwo, irregeleitet von einer digitalen Leitwölfin um einen imaginären Veranstaltungsort und verfahre flüssiges Gold, sprich kostbares Benzin. Um 18:45 Uhr – eine Oma in einer verkehrsberuhigten Zone zeigt mir ihren knochigen Stinkefinger – gebe ich auf. Ich will nach Hause, entbinde Frau Navi mit einem Tastenbefehl ihrer Aufgabe und halte mich in Richtung Westen. Dort werde ich irgendwann mal gewiss auf die Küste, und damit auf mein Heimatdorf stoßen. Um 19:25 Uhr bin ich wieder zu Hause. Zehn Minuten später ruft mich Charlotte an und fragt, warum ich nicht gekommen bin. „Wie? Was? War das heute?“ frage ich sie. Mit der Wahrheit hätte ich noch blöder dagestanden.

Häme ist geil

Ja, was lese ich denn da? Der MediaMarkt hängt in den Seilen? Er kämpft um seine Existenzberechtigung? Die Geschäfte laufen nicht mehr und die Kunden ihnen weg? MediaMarkt, sorry – das salbt meine alten Wunden. Damals – ihr erinnert euch? – als ihr diesen perversen Werbeclaim „Geiz ist geil“ auf den Markt geworfen habt, da gingen euch die Konsequenzen für die sonstige Wirtschaft am Arsch vorbei. Der Riesenerfolg eurer menschlichen Todsünde-Erweckungs-Kampagne hat euch glückstrunken gemacht. Der Deutsche fühlte nun seine krankhafte Raffgier, seine Jagd auf Schnäppchen und die Gier nach Mehr für Weniger, öffentlich abgesegnet und gepriesen.

Wie ein Vulkan der das ganze Land erfasste, brach nun der enthemmte Geiz mit aller Pracht im Kunden durch. „Billig“, „spottbillig“ und „noch billiger“ regierten nun nicht nur den Elektrohandel, sondern die gesamte Wirtschaft gleich mit. Den grafisch schreienden, billigen „Geiz ist geil“-Anzeigen und Plakaten konnte keiner mehr entkommen. Es wurde nun um jeden Preis gefeilscht und gehandelt und selbst bei privaten Geschäften versucht, den Preis zu drücken. Zum besseren Verständnis: es ist nicht geiler, mehr zu bezahlen als man sollte, aber asozial, einen Anbieter auszupressen, bis für den fast nix mehr drin ist und die Wertzunahme allein für sich einzusacken. Die in Stein geschlagene, ehrwürdige Kaufmannsregel lautet: Ein gutes Geschäft ist immer für beide gut.

Eine Oma aus meinem Dorf kam damals zu mir ins Haus, um ein Buch von mir zu kaufen. „Setz dich“ sagte ich, „und schaue dir erst mal an, ob es dir gefällt.“ Sie setzte sich, blätterte zehn Minuten in meinem Buch, bekam von mir sogar einen Kaffee und fragte dann: „Was soll es denn kosten?“ Ich antwortete: „Im Handel kostet es 9,- Euro, du bekommst es von mir für 6,- Euro.“ Sie schaute mich einen Moment an, überlegte und sagte dann: „5.- Euro!“ Ich hab sie rausgeschmissen. Tut mir leid“, sagte sie reuig, “aber man kann es doch wenigstens versuchen.“

Auch sie hatte die nackte Gier befallen. Und so rollte nun der gallige Geiz durchs Land und hat mir u.a. mit meinen Kalenderumsätzen bis heute einen unveränderbaren Einkommensverlust von 60% verursacht. Auch die Buchverlage merkten es bitterlich. Eigentlich jeder, der etwas zu verkaufen hatte. Und der MediaMarkt hat sich damals einen gefeixt, Containerschiffe mit Waschmaschinen und Fernseher verscherbelt und seine Hamburger Werbeagentur für diese geile Kampagne garantiert fürstlich bezahlt. Diese Agentur steht gewiss nicht auf billig.

Ich bin letzte Woche zu meinem Einzelhändler für Elektronik in den Nachbarort gefahren und habe mir einen neuen Fernseher gekauft. Wir haben eine Stunde Fernsehprogramme begutachtet, dabei Kaffee getrunken und geplauscht. Am nächsten Tag kam er mit dem Gerät, installierte und erklärte mir geduldig alles und ließ seine Telefonnummer da. „Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie Fragen haben.“ Das hatte ich gleich am nächsten Tag. Ein kurzes, freundliches Gespräch, eine Erklärung, eine Lösung, danach: „Immer sehr gerne.“ Rabatt bekam ich übrigens auch. Einzelhandel ist geil!

Maskenball

Als die Maskenpflicht ausgerufen wurde, ging ich in meine Apotheke und wollte eine kaufen. Der Apotheker meinte, schön wär´s. Die wenigen die er hatte, seien längst ausverkauft, und die, die er bestellt hat, sind noch nicht da. Lieferdatum unbekannt. Kommen aus China, wie alles, heutzutage. Ich bedankte mich und zog mir vorläufig alternativ meinen Schal übers Gesicht. Als ich damit meine Bankfiliale betrat, hoben alle die Hände hoch. „Corona!“ erläuterte ich mein Outfit, bevor sie den Alarmknopf drücken konnten. Zur gleichen Zeit nähten in meinem Dorf geschäftstüchtige Frauen im Akkord aus alter Bettwäsche oder ausrangierten Hemden und Blusen Masken. Nachts schlichen sie um den Altkleider-Container und angelten sich geeignete Reststoffe heraus. An einer Maske glaubte ich gar, eine alte, abgetragene Unterwäschekollektion von mir wiederzuerkennen. Witzige Schneiderleins kreierten Masken mit Fratzen, Figuren oder einfach nur lachenden Smiley-Mündern, andere druckten ihr Firmenlogo oder einen lustigen Text drauf, z.B.: „Küssen verboten“ oder „Fresse!“ Inzwischen verfüge ich über ein Sortiment Masken, die ich je nach persönlicher Stimmung anlege. So kann man schon mal an meiner Vermummung erkennen, wie ich drauf bin. Apropos erkennen, ein Bekannter von mir sammelt weggeworfene Masken von der Straße, wäscht sie und trägt sie weiter auf. So habe ich erkannt, was er für ein unfassbarer Geizhals ist. Corona sei Dank.

Weiße Linien

Großes Jammern und Klagen herrschte unter den Menschen, weil ihnen in den Ländern und Städten der Verkehr über den Kopf gewachsen war. Ein wildes Durcheinander von ein-, zwei-, drei- und vierräderigen Fahrzeugen jeder Antriebsart verstopfte ihre Straßen, von den zwei- und vierbeinigen Verkehrsteilnehmern mal abgesehen. Also beteten sie: „Lieber Gott, wir waren dem immobilen Rausch verfallen, haben zu kurz gedacht und falsch geplant, nun wächst uns das Chaos über den Kopf, was sollen wir tun?“ Gott, der immer zwei offene Ohren hat, gab ihnen einen Eimer mit weißer Farbe und einen Pinsel und sagte: „So gehet hin und markieret zügig eure Straßen, damit jeder seinen rechten Weg findet.“ Also geschah es. Fortan durchzogen weiße Linien wie Spinnennetze kreuz und quer die Lauf- und Fahrwege, durch die Millionen Verkehrsteilnehmer nun fürsorglich geleitet und optimal geschützt sicher ihr Ziele erreichten. Die Deutsche Verkehrswacht hat die Weiße Linie für den Oscar in der Kategorie „Traffic-Harakiri“ nominiert.

Angebot

Ich kreise mit meinem Auto durch Hamburg. Kein Parkplatz, nirgendwo. Mein Augenarzttermin rückt näher. Da, in einem Auto bewegt sich was. Ich rolle sofort in die günstigste Position, um gleich in die freiwerdende Parklücke zu stoßen, doch der Fahrer macht keine Anstalten herausfahren. Ich möchte wissen was er vor hat, steige aus und klopfe an seine Scheibe. „Ja, bitte?“, fragt er. „Fahren Sie raus?“, frage ich höflich. „Ja.“ – „Wann ungefähr?“ – „Das hängt ganz von Ihnen ab.“ Ich verstehe nicht. „Wären zehn Euro okay?“, fragt er. Jetzt verstehe ich. „Ich hab kein Geld dabei.“ Er überlegt. „Dann putzen Sie mir die Windschutzscheibe.“ „Ich hab leider keine Zeit.“ – „Wenigstens meinen Außenspiegel?“ – „Okay.“ Als ich beim Arzt ankomme, ist sein Wartezimmer voll. Ich mache lauthals ein Angebot: „Ein Mal Brillengläser putzen für einen Stuhl.“

Voll daneben

Die armen Eltern, sie haben ihr Kind noch gar nicht gesehen und sollen ihm schon einen Namen geben, einen, der ein Leben lang zu ihm passt. Die Entscheidungsfindung ist unter Eltern zumeist ein langer, häufig kontroverser Prozess. Haben sie sich endlich entschieden, betritt das Resultat die Öffentlichkeit. Ein Härtetest! Ihre Wahl löst nämlich bei den Außenstehenden verlässlich einen wilden Shitstorm aus. „Wie?? Wie soll euer Kind heißen?“, kreischt die Tante entsetzt. „Jette? Jette wie die blöde Jette Joop?“ „Alternativ hatten wir Melanie.“ „Melaaanie?? Wie die Zicke aus meinem Golfclub? Nicht euer Ernst? Und wenn´s ein Junge wird?“ „Da dachten wir an Oskar.“ „Oh, nein! Wie unser fetter Elektriker?“ „Wir hatten auch noch Kasper erwogen.“ „Tri-tra-trullala? Kasperle ist wieder da?“ So könnte das noch stundenlang weitergehen, kein Name stößt bei den anderen auf Zustimmung, keiner. „Grete“ stinkt nach Fisch, „Bruno“ nach Bär, „Max“ nach defektem Flugzeug, „Marlene“ ist altmodisch, „Pia“ klingt wie Bier, „Basti“ schwul. Gebt auf, liebe Eltern, nennt euer Kind einfach wie ihr wollt, auf keinen Fall aber „Amanda“, wie die Tante vorschlug. So heißt nämlich die ordinäre Bedienung in unserer Pizzabude.

Ohrwürmer

Ich wurde wach und hörte es erst ganz leise, dann schwoll es an und klang laut und klar: „Ra-Ra-Rasputin, Lover of the Russian Queen….“ Mann, wie kommt bloß dieses blöde Lied von Boney M. in meinen Kopf, dachte ich, streckte mich, schüttelte mich, bohrte mir mit den Fingern in den Ohren, aber es half nichts…“Ra-Ra-Rasputin, Lover oft the Russian Queen…“ stampfte der Beat in meinem Kopf. Diagnose Ohrwurm! Nun gesellten sich auch noch Bilder dazu.

Ich sah diesen krausköpfigen, grellbunt gekleideten Sänger vor meinen Augen herumzappeln und springen, das volle Programm. Der Versuch, ihn mit Jimi Hendrix auszutauschen, misslang. Wie kam dieser bekloppte Song in meinen Schädel, fragte ich mich. Lag es vielleicht am Ras-Putin? Hatte also unterbewussten Bezug zum omnipräsenten Putin? Keine Ahnung, was sich im Kopf manchmal so abspielt und das ist manchmal auch ganz gut so, finde ich. Also stand ich auf und ging ins Bad, womöglich half ja duschen. Aber Rasputin duschte mit. Mir fiel sogar auf, dass ich im Rhythmus des Liedes meinen Waschlappen kreisen ließ. „Ra-Ra-Rasputin, Lover of the Russian Queen…“, oh Gott.

Ich glaub, ich muss zum Arzt. Wie bekam ich nur diesen Quälgeist aus meinem Hirn? Gerade hatte ich mich abgetrocknet, da klingelte das Telefon. Eine Ablenkung wird mir gut tun, dachte ich. Freund Micha war dran, wollte hören wie´s mir geht. „Alles gut so weit, bin nur bisschen genervt“, sagte ich. Er wolle wissen warum. „Mir geht heute Morgen ein Lied nicht aus dem Kopf“, offenbarte ich ihm. „Welches Lied?“, fragte er neugierig. „Ra-Ra-Rasputin…“, trällerte ich in den Hörer. Stille. Dann brüllte er: „Lover oft he Russian Queen? Bist du denn wahnsinnig?“ Zu spät. Mein Ohrwurm war zu ihm übergesprungen. Erleichtert legte ich auf und ging in die Küche. Maria machte gerade Kaffee und trällerte dabei: „Life!…na-na-na-nana…Life is Life…na-na-na-nana…“ Ich glaub ich bring sie um.

Stunden, Stühle, Maulwürfe

Sie hält mit dem Schnippeln der Möhre inne: „Irgendwas war doch am Wochenende?“ Er schaut sie verspannt an: „Kommt etwa jemand?“ „Nicht dass ich wüsste“, entgegnet sie. Er lockert sich. Einfach mal ein ganzes Wochenende einfach nur unrasiert und schlaff abhängen, keine Freunde, keine Verwandten, keine Nachbarn – null.

„Irgendwas war“, sie kann brutal hartnäckig sein wenn ihr was im Kopf herumgeht, ist sogar dazu fähig, ihn nachts mit „Hast du eigentlich den Typ von der Versicherung angerufen?“ zu wecken. Als Richter würde er einem Ehemann, der seine Frau gewürgt hat, mildernde Umstände zubilligen. Plötzlich schlägt sie mit der Hand auf den Küchentisch und ruft: „Ha! Ich hab´s! Am Sonntag werden die Uhren auf Winterzeit umgestellt! Ich wusste doch, dass da was war.“ „Klasse“, antwortet er.

Klack – klack – klack – sie hackt emsig die Möhren in Scheiben. Gerade will sie sich eine in den Mund stecken, da meint sie: „Also, wie war das noch mal? Eine Stunde vor oder zurück?“ Das hat sie jetzt nicht gefragt, denkt er. Wie zu erwarten, sie lässt nicht locker: „Vor oder zurück?“ „Wie lange haben wir jetzt schon diese alljährliche Zeitumstellung?“, fragt er spitz. „Du musst jetzt nicht wieder deine blöden Kommentare abgeben“, bemerkt sie gereizt, „sag mir einfach ob vor oder zurück.“ „Zurück“, antwortet er. „Na siehste, geht doch.“

Sie hebt wieder das Gemüsemesser, stoppt, fragt noch mal nach: „Bist du sicher?“ Er holt tief Luft. „Im Frühjahr werden die Uhren eine Stunde vorgestellt, im Herbst wieder zurück. Also im Frühjahr stellen sie in den Straßencafés die Stühle raus, im Herbst wieder rein, so kannst du dir das gut merken.“

„Die stellen im Frühjahr die Stühle für eine Stunde raus? Wie blöd ist das denn?“ Er atmet schwer. „Okay, dann merke dir doch einfach, im Frühjahr verlierst du eine Stunde, im Herbst findest du sie wieder. Ist doch schön. Freue dich.“ „Ich soll einen ganzen Sommer nach meiner verlorenen Stunde suchen? Das soll ein schöner Gedanke sein?“ Er fängt an sich zu kratzen. „Mensch, meinetwegen stell dir einen Maulwurf in deinem Garten vor, im Frühjahr zieht er sich ins Erdreich zurück, im Herbst kommt er wieder raus.“ „Der soll Monate lang nicht mehr an die Oberfläche kommen? Der erstickt doch.“ „Denk doch was du willst!“. Er knallt die Tür hinter sich zu. „Wenn man schon mal deine Hilfe braucht!“, schreit sie ihm hinterher.