Schmeckt´s denn?

Theorie ist der Träumer, die Praxis die Realität. Sie offenbart gnadenlos alle Irrtümer und Selbstüberschätzungen und bringt Illusion und Wahrheit oft schmerzhaft ins Gleichgewicht. Will sagen, so lange man etwas nicht selber erfahren oder getan hat, kann man es viel weniger beurteilen.

Zum Beispiel die Sache mit dem Kochen. Aufgewachsen bin ich mit einer Mutter, die Haushalt und Kinder klaglos gemanagt hat und ihre Familie täglich selbstverständlich frisch bekochte. Ihre leckeren Mahlzeiten schmecke ich noch heute. Leider hat sie viele ihrer Rezepte mit ins Grab genommen, weil ich in jungen Jahren an völlig anderen Sachen interessiert war, als an handgeschriebenen Zutaten mit Zubereitungsvorgaben. Als hungriger Konsument erhielt ich jeden Mittag von „Mutti“ einen dampfenden, randvollen Teller vorgesetzt und aß mich lustvoll schmatzend satt, bis kein Happen mehr in mich reinging. Wie und wann und mit welcher Liebe sich meine Mutter ihren vielseitigen Speiseplan ausgedacht, was sie ständig alles an Zutaten die drei Stockwerke hochgeschleppt hatte, wie viel Arbeit ihre köstlichen Gericht brauchten, was sie danach alles abwaschen und wieder in die Schränke zurückstellen musste, darüber habe ich nie nachgedacht.

Mein Mund war schließlich zum Essen da und nicht um Fragen zu stellen oder mich zu bedanken. Dieser tägliche Service war für mich Naturgesetz und ihre obligatorische Frage „Schmeckts denn?“ habe ich eher als nervig empfunden, immerhin anstandshalber aber mit „Ja-ha“ beantwortet. Damit gab sie sich zufrieden, ich sah es an ihren geröteten Wangen. Nur einmal hatte ich ihr mit „Die Kartoffeln waren ein klein wenig zu salzig“ geantwortet. Daraufhin war sie den Tränen nah, riss sich die Schürze runter und schrie: „Dann sucht euch doch eine andere!“ Ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, vom Balkon zu springen. Müßig zu erwähnen, dass ich sie fortan nie wieder kritisiert habe. Gab allerdings auch nie wieder einen Grund.

Und heute nun koche ich selber. Gerne sogar. Schnüffle nach neuen Rezepten, besorge die Zutaten, schnipple, schäle, schneide, hacke, würfle, siebe, rühre, quirle, überwache meine brodelnden Kochtöpfe und Pfannen bis zum endgültigen Finale – und tische meiner Familie oder meinen Freunden geschwitzt aber glücklich auf. Irgendwann zwischen dem Klappern von Messern, Gabeln, Porzellan und Kauknochen kann ich mich nicht mehr beherrschen, bricht die Sehnsucht nach einer bescheidenen Geste der Dankbarkeit für meine hingebungsvollen Kochkünste und körperlichen Aufwendungen – von den Investitionen mal ganz abgesehen – haltlos aus mir heraus: „Schmeckt´s denn?“ In der Regel erhalte ich auf diese offensive Nachfrage ein höfliches, leicht pikiertes „Ja-ha“. Letztens aber meinte mein Ältester „Die Nudeln hätten etwas mehr Biss haben können.“ Ich hab mir sofort die Schürze vom Leib gerissen und gebrüllt: „Dann sucht euch doch einen anderen!“ Am Brückengeländer hat man mich dann wieder eingefangen.

Autobrei

Alle jungen Menschen jetzt mal Augen zu. Hey, Alter! Erinnerst du dich noch an diesen Moment, wo du dir vor dem Ausstellungsraum eines Autoherstellers an der Scheibe verzückt die Nase platt gedrückt hast? Da stand er, unvergleichlich, außergewöhnlich, atemberaubend in Form und Stil, der neue Citroen, oder Alfa Romeo, oder Renault, oder BMW, oder Opel GT. Sogar in einen Honda wollte ich mich, verliebt bis über beide Ohren, mal zwängen, hab mich dann aber für den noch originelleren Mini entschieden. Total innovativ war der RO80, mit Wankelmotor! Autos, nach denen sich die Menschen auf der Straße den Kopf verdreht haben. Schaut man sich heute die Autos an – ein einziger, kotzlangweiliger, optischer Brei. Eins wie das andere, jeder klaut bei jedem, es gibt keinen Unterschied mehr. Keinen!
Überall Karosserien die aussehen, als wären sie von Riesenwespen gestochen worden, überall Beulen und Schwellungen, winzige Heckfenster mit entzückender Blechmarkise – aber vor allem: Der SUV-Virus! Diese Karosseriekrankheit, die Fehlgeburt eines sibirischen Auto-Designers, der jeden Städter damit durch den Schlamm seines Stadtparks schicken wollte, der Autotyp, der heute die Straßen dominiert und bräsig verstopft. Bald gibt es Kinderwagen-SUV´s. Es ist Wahnsinn. Alle jungen Menschen jetzt wieder die Augen auf: Von Toyota gibt´s jetzt den neuen Instagram! Bei Neukauf gibt´s 500 Follower gratis.

Graffiti-Terror

Mein Freund hat das schöne, zweistöckige Haus seiner Eltern in der Altstadt am Fluss geerbt. Nach dem großen Hochwasser schütteten die Stadtväter großzügige Finanzhilfen über die geschädigten Bürger aus. Das war seine Chance, endlich die große Hauswand an der Gasse, die direkt runter zum Fluss führt, neu verputzen und streichen zu lassen. Die graue Fassade war ihm schon lange ein Dorn im Auge, nun strahlte sie schneeweiß und makellos. Er dankte der Hochwasserhilfe von Herzen. Zwei Tage später stand, in riesigen Buchstaben und leuchtendem Blau gesprayt, „BLACK LIVES MATTER!“ dran. Als gerechter Mensch, der er war, hatte er wohl Verständnis für die Solidarität mit den Vernachlässigten und Unterdrückten – aber nicht für diese Aktion. Er kochte vor Wut.

Am nächsten Tag hing ein laminierter Brief „An die lieben Damen und Herren Sprayer“ an der geschändeten Wand, in dem er sie einlud, doch zu ihm zu kommen und ihm bei einem gut gekühlten Bier all ihren Frust zu offenbaren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten – aber nicht an seiner Hauswand! Ein Reporter der örtlichen Presse hatte den Brief sogar fotografiert und in der Zeitung, als Dokument der Verzweiflung eines ehrenwerten Bürgers im Kampf gegen Anarchie und Vandalismus, groß abgedruckt. Der/die Täter nahm/en die Einladung nicht an. Irgendwann hatte ein weiterer Schmierfink mit einem dicken Filzschreiber noch „Jesus lebt“ dazu gekritzelt. Nach Monaten des Leidens beauftragte mein Freund einen Maler damit, diese optische Schande zu beseitigen. Danach leuchtete die Hauswand zu seiner großen Freude endlich wieder im makellosen Weiß. Eine Woche später stand, blutrot und riesig, „Fleischesser sind Kannibalen“ dran. Ich stellte die These auf, dass der Täter aus seinem inneren Zirkel stammen müsste, denn wer wüsste sonst, dass seine Lieblingsspeise krosser Schweinebraten war? Daraufhin drohte er mir zornig an, an meine Wohnungstür „Bier ist auch keine Lösung“ zu sprayen. Verbitterte Freunde können so verletzend sein.

Unwürdig

Der singenden Kunst baut man bombastische Opernhäuser, der Schauspielkunst grandiose Theater, der Kunst der Malerei prächtige Museen, der göttlichen Botschaft gewaltige Kirchen und der Kunst des Herrschens prunkvolle Schlösser. Und was ist mit dem Humor? Dem man immense Wirkung auf Mensch und Gesellschaft zuschreibt, magische, heilende Kräfte attestiert, ja sogar für den einzig Befähigten hält, als global Regierender der Welt den ewigen Frieden zu bringen? Wo steht sein würdiges Haus, in dem man die Kunst der Karikatur preisen und diese famosen Energie genießen kann? Vielleicht dort, wo einst Heinrich Zille seinen genialen Pinsel schwang, in der Hauptstadt Berlin? Vielleicht in Karl Valentins München? Weit gefehlt. Geld für die Kunst des Lachens? Diesem stoßartigen, lauthalsen Geräusch mit dem unkontrollierten Körperzucken? Abgelehnt! Bitte wenden Sie sich doch an den nächsten Arzt oder Apotheker.

Der Ausbruch

Seit gut zwei Wochen starre ich wir paralysiert auf Bilder, die täglich in den Medien zu sehen sind und kann es einfach nicht glauben: Der Vulkan Cumbre Vieja auf La Palma ist ausgebrochen. Unweit von seinem Lavafluss hatten wir mal 22 Jahre ein Ferienhaus, quasi nebenan. Wenn die ausgewanderten Freunde damals wieder mal die Vorteile und Schönheiten „ihrer“ Insel priesen und damit ihren Umzug verteidigten, wenn sie den europäischen Kontinent mit all seinen Gefahren provozierend in düsteren Farben malten, dann zogen wir in unserer Verzweiflung die Karte der palmerischen Vulkanbedrohung und erntete dafür nur Gelassenheit: „Kein Thema, da leben wir längst nicht mehr.“

Zugegeben, ich hab ich das dreist auch für unmöglich gehalten und hörte ihre Zuversicht gerne, denn immerhin stand auch unser Haus im Einzugsbereich eines Vulkans. Seine Energie glaubte ich immer unter mir zu spüren, war oft unruhig, träumte völlig irres Zeug und wurde ab und zu mal von massiven Gemütsstimmungen befallen, die mir sonst in dem Maße fremd waren. Als guten Geist, als Beschützer unseres Hauses, habe ich dann demonstrativ eine gewaltiges Lavasteinfragment vom letzten Ausbruch in unseren Garten stellen lassen und ihn mit seinen Runzeln vom Lavafluss speziell für unsere Söhne als „alten Mann“ bezeichnet, der auf uns alle aufpasst. Bis zum Verkauf meines Hauses hatte er seine Aufgabe vorbildlich erfüllt, warum er 2021 plötzlich keine Lust mehr hatte, macht mich sprachlos. Denn durch Todoque, direkt nebenan, kroch nun vor meinen Augen und denen der ganzen Welt auf den Bildschirmen eine riesige schwarze Welle von Lava und fraß vor meinen entsetzten Augen der Reihe nach die Häuser, Gärten und Pools vieler meiner Freunde und Bekannten. U.a. das Haus von Klaus und Karin, von Martin, Manuela, Tina und Axel, Stück für Stück, wie ein Monster legte es sich über die Dächer, umschlang die Wände, ließ Scheiben zerbersten, Mauern einstürzen und Gasflaschen explodieren. Ein Inferno. Die ganze Welt sah zu, wie die Lava sich spektakulär in den Garten und den Pool von Manuela stürzte. Und erschauderte.

Ich kannte jeden Winkel vieler ihrer Immobilien, hab dort jahrelang wundervolle Stunden verbracht, den Träumen und Optimierungswünschen ihrer Besitzer gelauscht, ihren Stolz gespürt und mich an ihrem Glück erfreut. Sie waren angekommen und hatten ihren Platz gefunden. All ihre Behördengänge, Kosten, Mühen, Sorgen und Gedanken waren mir nur zu bekannt. Viele, wie ich, mussten sich richtig lang machen für diesen Ferientraum und sich mit Zimmervermietung oder kurzfristigen Krediten über mach klamme Runden helfen. Die Pflege und Gestaltung der Räume und Gärten, die banale Beschaffung einer neuen Lampe, einer Matratze, eines Wäscheständers oder einer Knoblauchpresse, alles das war auf La Palma in den 80er/90ziger Jahren – auch später noch – teils ein abenteuerliches Unterfangen. Hunderte kleiner Besorgungen und Erledigungen, um das heimische Nest, Haus oder Wohnung, zu erhalten und zu verschönern. Jeder kennt das. Und nun liegt das alles unter einem steinernen Leichentuch begraben.

Angenehme Temperaturen, magisches Licht, klappernde Fächerpalmen und über allem ein unvergleichliches Blau, geziert von flauschigen Passatwolken, dieser Traum ist La Palma weiterhin – aber nun sind da diese unvorstellbaren Bilder. Wie aus einem billigen Lothar Emmerich Katastrophenfilm. Das erste Foto, eine Minute nach dem Ausbruch schoss Manuela von ihrem Haus. Schneeweißes Mauern, sonniges, strahlendes Szenario und im Hintergrund eine störende Rauchwolke, als würde ein Einheimischer Autoreifen verbrennen. Und dann zeigte die Natur, wozu sie fähig ist. Sie nimmt keine Rücksicht auf irgendwas, nicht mal eine Kirche war ihr heilig, wälzte sich wie ein Drache feuerspeiend in Richtung Meer.

Ja, wer unter Vulkanen, dicht an Bergrücken, Meeren oder Flüssen baut, spielt Russisch Roulette. Die menschliche Hybris wird bestraft. Ich weiß. Aber der Natur bei so einem Wutausbruch zuzuschauen, ist furchterregend und unglaublich erschütternd. Ältere Palmeros erleben den dritten Vulkanausbruch seit 1949. Sie werden „tranquillo“ sagen, einen Cortado trinken, in die Hände spucken und weiter leben. Mit ihren Vulkanen.

Vernissage

Charlotte lädt zur Vernissage. Montag, 18 Uhr, für Getränke und Häppchen ist gesorgt. Ich plane diesen Termin ein, bette ihn zwischen Arbeitsende und Sofa. Schnell geduscht, frisches Hemd und Deo. Im Auto noch mal auf WhatsApp die Einladung gelesen: Montag, 16 Uhr in Oeversee im Akademieweg 6. Na, toll. 16 Uhr nicht 18 Uhr, Butschkow, du Trottel. Aber die 6 und die 8 sind sich optisch sehr verwandt, entschuldige ich mich selber.

Wenn ich bisschen Tempo mache, bin ich pünktlich um 18 Uhr zu den Abschiedsworten da, vielleicht ist noch ein Fischbrötchen übrig und die Künstlerin versöhnungsfähig. Ich gebe die Adresse in meinen Bordcomputer ein und bin schon auf der Straße. Gegen 17:45 Uhr nähere ich mich meinem Ziel. Frau Navi meint, ich soll jetzt weiter geradeaus fahren, mach ich aber nicht, ich biege lieber rechts ab und folge ganz traditionell, so wie früher, einem offiziellen Hinweisschild nach „Oeversee“. Madame schweigt verdutzt. Ich liebte es schon immer, Frauen mit unerwarteten Handlungen zu verwirren. Endlich hat sie begriffen: „Bitte vier Kilometer geradeaus.“ Nach drei Kilometern ist die Straße wegen Bauarbeiten komplett gesperrt. Na bravo. Ich biege scharf links ab und warte auf neue Instruktionen – und endlich kommen sie: „Hundert Meter halb rechts…nach fünfzig Metern rechts….links…rechts…halb rechts…scharf links…geradeaus…nach hundert Metern…“

Ich durchquere Wohnsiedlungen, Bauernhöfe, passiere Kreuzungen, kleine Brücken, folge brav ihrem „Bitte wenden“, erreiche manche Stellen zum zweiten, mitunter zum dritten Mal, erkenne inzwischen Häuser, Gärten und Garagen wieder, sogar Menschen, die langsam auf mich aufmerksam geworden sind und mir ein fröhliches „Moin-Moin!“ zuwinken. Jetzt wäre die Chance neue Freundschaften zu schließen, aber ich muss dringend zu Charlotte.

Es ist bereits 18:35 Uhr und ich kreise, irgendwo im Nirgendwo, irregeleitet von einer digitalen Leitwölfin um einen imaginären Veranstaltungsort und verfahre flüssiges Gold, sprich kostbares Benzin. Um 18:45 Uhr – eine Oma in einer verkehrsberuhigten Zone zeigt mir ihren knochigen Stinkefinger – gebe ich auf. Ich will nach Hause, entbinde Frau Navi mit einem Tastenbefehl ihrer Aufgabe und halte mich in Richtung Westen. Dort werde ich irgendwann mal gewiss auf die Küste, und damit auf mein Heimatdorf stoßen. Um 19:25 Uhr bin ich wieder zu Hause. Zehn Minuten später ruft mich Charlotte an und fragt, warum ich nicht gekommen bin. „Wie? Was? War das heute?“ frage ich sie. Mit der Wahrheit hätte ich noch blöder dagestanden.

Gute Nacht!

Ich hab mal gelesen, wie viel Zeit seines Lebens der Mensch im Bett verbringt, Zahlen aber waren nie mein Ding, dennoch erinnere ich mich noch gut, dass ich enorm beeindruckt war, wie viele Stunden des Lebens wir verschlafen, während da draußen das Leben tobt. Das soll aber nicht mein Thema sein, mir geht es eher um das WORAUF wir schlafen, nämlich längst nicht mehr auf Erde, Baum oder Heu, sondern auf „Matratzen“, hochkultivierten Errungenschaften, die in der Werbung ständig angepriesen werden und uns zum Probeliegen laden.

Selbstverständlich habe ich das Angebot angenommen und mich nach etlichen Umzügen mit dem Wunsch nach Neueinrichtung in Möbelhäusern oder Bettenläden vor den Augen gaffender Verkäufer*innen auf den verschiedensten Matratzen gewälzt und gestreckt, um mein passendes Modell zu finden. Seltsamerweise waren das meistens die teuersten, die mit ausgeklügelten Kammersystemen und Spezialbeschichtungen, die mit dir nachts gemeinsam atmen und die Feuchtigkeit zum Teufel jagen, während du im himmlischen Schlaf liegst, der nur davon unterbrochen wird, dass deine rückensteife Gäste heimlich versuchen unter deine Decke zu schlüpfen, weil ihnen die von dir zugewiesene Luftmatratze oder das Schlafsofa zu hart sind.

Gastfreundliche Bekannte von mir beherbergen mich, wenn ich mal in ihrem Städtchen bin, mit großer Herzlichkeit in ihrem Häuschen und weisen mir aus eben dieser Zuneigung selbstlos ihr Wasserbett zu, in dem es dann die ganz Nacht blubbert, wenn ich mich mal drehe. Nicht nur diese Effekt lässt mich unruhig schlafen, nein, auch die Frage, wie zwei Menschen in diesem Geschwabbel Sex machen können?

Trotz Übermüdung und leichter Seekrankheit, nie würde ich ihre Gastlichkeit mit dem Wunsch verletzen, alternativ in einem Hotelbett zu übernachten. Augen zu und durch, das ist meine Devise. Vielleicht besuchen sie ja auch mal mich, dann kann ich mich bei ihnen mit meiner persönlichen Bettstatt revanchieren: meiner neuen Hängematte. Zwei Personen kommen sich darin zwangsläufig näher, alles weitere sehe ich mir dann später diskret auf meiner sleeping-room-cam an. Mann, bin ich gespannt.

Maskenball

Als die Maskenpflicht ausgerufen wurde, ging ich in meine Apotheke und wollte eine kaufen. Der Apotheker meinte, schön wär´s. Die wenigen die er hatte, seien längst ausverkauft, und die, die er bestellt hat, sind noch nicht da. Lieferdatum unbekannt. Kommen aus China, wie alles, heutzutage. Ich bedankte mich und zog mir vorläufig alternativ meinen Schal übers Gesicht. Als ich damit meine Bankfiliale betrat, hoben alle die Hände hoch. „Corona!“ erläuterte ich mein Outfit, bevor sie den Alarmknopf drücken konnten. Zur gleichen Zeit nähten in meinem Dorf geschäftstüchtige Frauen im Akkord aus alter Bettwäsche oder ausrangierten Hemden und Blusen Masken. Nachts schlichen sie um den Altkleider-Container und angelten sich geeignete Reststoffe heraus. An einer Maske glaubte ich gar, eine alte, abgetragene Unterwäschekollektion von mir wiederzuerkennen. Witzige Schneiderleins kreierten Masken mit Fratzen, Figuren oder einfach nur lachenden Smiley-Mündern, andere druckten ihr Firmenlogo oder einen lustigen Text drauf, z.B.: „Küssen verboten“ oder „Fresse!“ Inzwischen verfüge ich über ein Sortiment Masken, die ich je nach persönlicher Stimmung anlege. So kann man schon mal an meiner Vermummung erkennen, wie ich drauf bin. Apropos erkennen, ein Bekannter von mir sammelt weggeworfene Masken von der Straße, wäscht sie und trägt sie weiter auf. So habe ich erkannt, was er für ein unfassbarer Geizhals ist. Corona sei Dank.

Weiße Linien

Großes Jammern und Klagen herrschte unter den Menschen, weil ihnen in den Ländern und Städten der Verkehr über den Kopf gewachsen war. Ein wildes Durcheinander von ein-, zwei-, drei- und vierräderigen Fahrzeugen jeder Antriebsart verstopfte ihre Straßen, von den zwei- und vierbeinigen Verkehrsteilnehmern mal abgesehen. Also beteten sie: „Lieber Gott, wir waren dem immobilen Rausch verfallen, haben zu kurz gedacht und falsch geplant, nun wächst uns das Chaos über den Kopf, was sollen wir tun?“ Gott, der immer zwei offene Ohren hat, gab ihnen einen Eimer mit weißer Farbe und einen Pinsel und sagte: „So gehet hin und markieret zügig eure Straßen, damit jeder seinen rechten Weg findet.“ Also geschah es. Fortan durchzogen weiße Linien wie Spinnennetze kreuz und quer die Lauf- und Fahrwege, durch die Millionen Verkehrsteilnehmer nun fürsorglich geleitet und optimal geschützt sicher ihr Ziele erreichten. Die Deutsche Verkehrswacht hat die Weiße Linie für den Oscar in der Kategorie „Traffic-Harakiri“ nominiert.

Angebot

Ich kreise mit meinem Auto durch Hamburg. Kein Parkplatz, nirgendwo. Mein Augenarzttermin rückt näher. Da, in einem Auto bewegt sich was. Ich rolle sofort in die günstigste Position, um gleich in die freiwerdende Parklücke zu stoßen, doch der Fahrer macht keine Anstalten herausfahren. Ich möchte wissen was er vor hat, steige aus und klopfe an seine Scheibe. „Ja, bitte?“, fragt er. „Fahren Sie raus?“, frage ich höflich. „Ja.“ – „Wann ungefähr?“ – „Das hängt ganz von Ihnen ab.“ Ich verstehe nicht. „Wären zehn Euro okay?“, fragt er. Jetzt verstehe ich. „Ich hab kein Geld dabei.“ Er überlegt. „Dann putzen Sie mir die Windschutzscheibe.“ „Ich hab leider keine Zeit.“ – „Wenigstens meinen Außenspiegel?“ – „Okay.“ Als ich beim Arzt ankomme, ist sein Wartezimmer voll. Ich mache lauthals ein Angebot: „Ein Mal Brillengläser putzen für einen Stuhl.“