Radio Gaga

Ich bin in den kleinen Laden gegangen, um mir ein Hemd zu kaufen. Während ich die Auswahl an den Kleiderstangen durchblättere, läuft im Hintergrund unüberhörbar dass Radio. Zwei aufgekratzte Moderatoren spielen einen Titel kurz an und fragen: „Wer erkennt die Interpretin? Sofort anrufen unter …..holt euch die 500,- Euro!“ Ich will mich auf die Hemden konzentrieren, merke aber, wie mich diese Frage packt. Sie spielen den Titelfetzen noch mal. Ich kann es kaum glauben: das ist doch eindeutig Marianne Rosenberg mit „Er gehört zu mir“. (Wie der Schein zu mir, denke ich.) So leicht bin ich noch nie zu Geld gekommen. Ein Hörer ist auf Sendung und meint: „Mary Rose?“ Mann, ist der blöd. Der Moderator sagt: „Leider falsch. Aber jetzt alle zuhören – ich erhöhe auf 600.- Euro, heute Nachmittag auf eurem Konto, ruft an!“

Ich werde immer nervöser. Für 600.- Euro kann ich mir gleich jetzt ein Dutzend Hemden kaufen. Wahnsinn. Sie spielen den Titel noch mal an. Ich kann mich überhaupt nicht mehr konzentrieren, wühle fahrig in den Stoffen herum. „Ja, wer ist dran?“, fragt der Moderator. „Ich bin Lena aus Rostock. Den Titel singt…äh… Nicole?“ Nicole? Ja bist du denn völlig leer da oben, denke ich. Das tut ja schon weh. „Tut uns leid, Lena, leider nein“, bedauert der Moderator. Wieder spielen sie das Lied an und sagen: „Einem Anrufer geben wir noch eine Chance – ruft an!“ „Haben Sie die Nummer von Radio Brandenburg?“, schreie ich den Ladenbesitzer an. „Bitte? Worum geht´s?“, fragt er verdattert. „600,- Euro, Mann! 600.- Euro!“, brüllen ich ihn an und dann in Richtung Radio: „Marianne Rosenberg! Ma-ri-an-ne Ro-sen-berg!!“ Er schaut mich sonderbar an und fummelt an seinem Handy herum. Ich schreie: „ Marianne Roooosenberg! Mann! Das ist doch pipi-einfach! Marianne Rosenberg!!“, stürze nach draußen, klettere auf einen Tisch mit Sonderangeboten und wedele mit einem karierten Hemd herum. Es muss mich doch jemand von Radio Brandenburg sehen. „Marianne Rosenberg!! Er gehört zu mir! Rosenberg! Marianne!“, gröle ich wie von Sinnen. Als mich die Sanitäter fest fixiert in den Krankenwagen verbringen, höre ich noch aus der Ferne eine Hörerin „Helge Schneider?“ antworten. Danach falle ich vor Schmerz in Ohnmacht.

Zum Totlachen

Ich scheue mich, es ihnen ins Gesicht zu sagen, aber sie haben sich verändert. Wenn ich sie früher besuchte, sprachen wir über alles, nur nicht über Krankheiten. Die hatte man nicht oder sie spielten keine Rolle, weil das Leben einfach schöner war. Heute liegen bei ihnen Salben und Säfte herum, in den Schubladen wimmelt es von Medikamenten und auf der Vitrine, wo früher der Aschenbecher stand, steht jetzt das Blutdruckmessgerät. Ich erfahre ihre neuesten Cholesterin- und PSA-Werte, alles über ihr Gewicht und den Zustand ihrer Gelenke, ich weiß nun, was sie nicht mehr essen oder vergessen und zu welchem Arzt sie gerne, oder weniger gerne gehen. Prahlt er mit seiner Arteriosklerose, wirft sie ihre Osteoporose in den Ring, gibt sie stolz an, vier Mal nachts auf die Toilette zu gehen, geht er fünf Mal. Sie zeigen mir ihre neuesten Rückenübungen und was man alles gegen Verstopfung tun kann. Wir sehen gemeinsam Videos von ihren liebsten Physiotherapeuten und über das Wunder der Nahrungsergänzungsmittel.

Habe ich endlich alles über ihren akuten Gesundheitszustand erfahren, gehen wir die neuesten Herzinfarkte, Hirnschläge und Schlaganfälle in ihrem Umfeld und Bekanntenkreis durch. In der Regel sind auch immer zwei oder drei völlig unerwartete Todesfälle dabei. Meinen zaghaften Versuch, ihnen von meinem steifen Nacken zu erzählen, kontern sie mit ihren kaputten Hüften. Am Ende meines Besuches spazieren wir immer noch ein bisschen über den nahegelegenen Friedhof und besichtigen ihre zukünftige Grabstelle. Letztes Mal baten sie mich um Beratung in Sachen Inschrift. Ich schlug ihnen „Erfolgreich gestorben“ vor. Sie wollten das noch mit ihrem Psychotherapeuten diskutieren.

Unfähig

Als Gott die Begabungen verteilte, war ich kurz mal auf´m Klo. Wie ich wieder zurück kam, hatte er das Handwerkstalent komplett vergeben. Zur Auswahl standen noch Musik, Mathematik und Kunst. Ich entschied mich für Letztere. „Arme Sau“ hörte ich jemanden sagen. Ich ahnte nicht, wie recht er hatte. Seit dieser Stunde laufe ich als verhöhnter Außenseiter durch mein Leben. Von Werkzeug bekomme ich Allergien, in Baumärkten wird mir schlecht und beim Blick auf einen Motorblock schwindelig. Mein Leben lang bin ich von Handwerkern abhängig. Als Freunde tolerieren sie mein Unvermögen sanftmütig: „Jeder kann halt seins“.

Sind mir welche allerdings professionell zu Diensten, wittern sie meine Ahnungslosigkeit und ziehen mich über den Tisch. Nun gut, in meiner Zeit in einer Buchdruckerei hatten wir ja auch einem gutgläubigen Kunden eine verschnittene Auflage Prospekt als „neues, englisches Format“ verkauft. Er hat´s tatsächlich geglaubt. Im unmoralischen Umgang mit einem Unwissenden sind wohl die meisten Fachleute gefährdet, speziell kurz vor Feierabend. „Scheiß drauf, sieht doch keiner. Der schon gar nicht.“ Aktuell punkte ich bei den Frauen damit, dass ich Kreissägen und Kantenschneider hasse: „Hab wohl einen großen Anteil Weiblichkeit in mir.“ Das kommt an. Als ich aber letztens einer guten Freundin durch eine dumme Fehlbedienung den Rasenmäher kaputt gemacht habe, schrie sie mich an: „Und du willst ein Mann sein?“ Mit einer zarten Federzeichnung und einem poetischen Vierzeiler konnte ich sie leidlich versöhnen.

Das Signal

Vor einiger Zeit sprach mich Frau Hansen, meine Nachbarin, an. Als ältere, allein lebende Dame und mache sie sich Sorgen, dass keiner merken würde, „wenn mit mir mal was passiert ist“. Eine Bekannte sei unlängst gestürzt und hätte zwei Tage hilflos in ihrer Wohnung gelegen, bevor sie jemand gefunden habe. „Sollten meine Vorhänge im Schlafzimmer bis 9:30 Uhr nicht aufgezogen sind, dann stimmt etwas nicht mit mir“, sagte sie zu mir. „Eine gute Idee, dann weiß ich Bescheid“, antwortete ich. Drei Monate später schaue ich an einem Samstagmittag zufällig zu ihrem Haus herüber und sehe, dass ihre Vorhänge noch zugezogen sind. Eine Viertelstunde später rücken Polizei, Feuerwehr, Notarzt, das Technische Hilfswerk, ein Minenräum-kommando und – für den Fall einer Geiselnahme – das SEK an. Die Einheit stürmt das Haus und sichert dem Bereitschaftsarzt den Zugang zur Zielperson. Sanitäter tragen die festgeschnallte, medizinisch notversorgte Frau Hansen auf der Trage zum Krankentransporter. Am späten Morgen klopft sie putzmunter an meine Tür, reicht mir einen selbstgebackenen Kuchen und bedankt sich herzlich: „Wie beruhigend, so einen aufmerksamen Nachbarn zu haben.“ Ihr sei überhaupt nichts passiert, sie wollte mich nur mal testen.

Food-City

„Immer geradeaus, und dann den zehnten Gang, direkt am Maggi-Center links, und an der Kreuzung, beim großen Coffee-Tower, rechts. Danach den zweiten Gang, direkt am Dressing-Corner wieder links. Dann sehen Sie schon.“ Ich bedanke mich und fahre meinen Einkaufswagen in die empfohlene Richtung, biege aber einen Gang zu früh ab und lande in der Pasta-Street. Nach gefühlt Millionen Nudeln erreiche ich eine Abzweigung in Richtung Milki Way. Am Asia-Food-Circle nehme ich die zweite Ausfahrt, lande direkt im Bio-Park und verlasse ihn am Veggie-Garden. Endlich erreiche ich die Cooler-Highway mit den Hunderttausend Joghurtbechern und lege eine Mango-Papaya-Töpfchen in meinen Wagen. Wegen erhöhten Verkehrsaufkommens bei den Sonderangeboten wähle ich den Umweg über den Hot-Spot mit den scharfen Gewürzen und lande wieder bei der freundlichen Frau von vorhin. „Na? Alles gefunden?“, fragt sie. „Ja“, sage ich glücklich reiche ihr meine Come-Back-Card.

Zahlen!

Zu den vielen Talenten die ich nicht habe, gehört auch die Mathematik. Eigentlich mag ich sie, wenn da nur nicht diese bescheuerten Zahlen wären. Für einen Mathematiker die glorreichen Zehn, für mich die zehn Verdammten. Mag sein, dass meine Zahlenallergie von meiner Lebensgeschichte geprägt ist. Mein Vater war Steuerberater und hat zu Hause gearbeitet. Immer wenn meine Mutter ohne Bodenberührung die Diele entlanggeschwebt ist, wusste ich: „Vati macht Bilanz.“ Das hieß, er addierte oder subtrahierte Zahlen, die am Ende übereinstimmen mussten. Fehlte ein Pfennig, konnte er wieder von vorne anfangen – und wir uns eingraben. Seine Tür zum Büro war dann geschlossen und Mutter schob ihm mehrmals am Tag, wie bei einer Raubtierfütterung, ein paar Wurst- oder Apfelscheiben unter der Tür durch.

Wir hatten Angst, weil er um nichts in der Welt gestört wurden durfte, sonst brannte die Luft. Da wusste ich, Zahlen sind etwas ganz Kompliziertes und wenn man sie auch noch zusammenzählen oder aneinanderreihen muss, der blanke Wahnsinn. Davon hat der Deutsche Bankenverband Wind bekommen und extra für mich die IBAN-Nummer erfunden. Nur um mich fertig zu machen. Und so fülle ich seitdem vorgedruckte Überweisungsformulare mit seelenlosen Bandwurmzahlen aus, zähle leise murmelnd Perlenketten von Nullen durch, am Ende ist es immer eine zu wenig – oder zu viel. Erst recht, wenn ich das in meiner Filiale am einzigen Überweisungsautomaten tätige, vor dem bereits andere Kunden unruhig darauf warten, dass ich endlich fertig werde. Dann mache ich Fehler und damit die Nachrücker noch unruhiger. Eine echte Spirale. Aktuell, in Coronazeiten, liegt meine Filiale in mitarbeiterloser, geisterhafter Stille, nur Zettel an den Wänden weisen auf den Segen des Onlinebankings hin. Wer ihrer digitalen Errungenschaft nicht traut, soll gefälligst sein ausgefülltes Überweisungsformular per Post an die Zentrale, weit oben an der Westküste senden.

Gestern habe ich eins an das Auffangbecken für angepisste Bankkunden (AFAB) ausgefüllt und abgeschickt. IBAN85 12700 27380 00000 00000 0000 00001226 0000 6500 000112 00054 000000. Ich bin mal gespannt.

Tolle Wurst

„Stell dir vor, der Hansen hat seine Frau betrogen.“ Ich denke, das schockiert ihn, schließlich waren wir alle überzeugt, Hansen führe eine glückliche Ehe. Er darauf: „Na, kuck an.“ Ich muss zugeben, das ist mir für so eine heiße Neuigkeit zu wenig, da hatte ich mehr Anteilnahme erwartet, also lege ich noch einen drauf: „Mit einer Jüngeren.“ Er stutzt und sagt dann: „Tolle Wurst.“ Wurst? Ich weiß nicht, das passt ja nun gar nicht, denke ich, aber ich hab noch einen: „Ist die Tochter von seinem Chef.“ Ich schaue ihn erwartungsvoll an. Sein Kommentar: „Siehste woll.“ Das reicht mir nicht. Bei so einem Hammer von Neuigkeit? Also gut, ich hole jetzt ein echtes Ass aus dem Ärmel: „Die Hansen ist aus Rache mit seinem Chef ins Bett gegangen. Na? Da biste sprachlos.“ Er hebt kurz die Augenbrauen und antwortet nur: „Nutzt ja nix.“ Ich gebe auf. Mehr Neuigkeiten hab ich nicht. Aber jetzt kommt er: „Du glaubst es nicht, Tom hatte ´n Herzinfarkt.“ Ich sage nur: „Tolle Wurst.“

Forever young?

Vor ein paar Tagen bekomme ich auf WhatsApp ein Foto von den Rolling Stones mit dem Text: „Gesund leben, gut schlafen, nicht rauchen, kein Alkohol, braven Sex und keine Drogen, das ist der Schlüssel für ein langes Leben.“ Unter jedem Stone steht das Alter: Bill Wyman: 78, Keith Richards 75, Mick Jagger 76, Ron Wood 72 – und dazu groß: „Ha-ha-ha!“ Das ist witzig. Soll heißen, genau das Gegenteil hält jung. Daraufhin werfen sich nun junge Menschen hemmungslos auf Fleisch, Zigaretten, Alkohol und Kokain und gehen nur ins Bett, um sich sexuell hemmungslos zu verlustieren. Ansonsten dancen sie die Nächte durch unter dem Motto: Will auch 78 werden! Freunde, lasst euch nicht verarschen, Ein langes Leben hängt einerseits von einem günstigen Genpool ab, andererseits von Glück, Geld und guten Ärzten. Habt ihr das alles? Das Management der vier glorreichen Unsterblichen wird alles tun, um ihre Wehwehchen zu verheimlichen. Ein Mick Jagger mit Potenzproblemen? Ein Keith Richard mit Arthrose? Ein Bill Wyman mit Bypass? Ein Ron Wood mit Morbus Krohn? Wer könnte sich das vorstellen? Keiner. I can´t get no sickness, da-da-dadadaaa…! In Wirklichkeit sind alle unsere Heroes Menschen wie du und ich. Ich weiß von einem berühmten Künstler, eine Ikone deutscher Biertrinker, dass er schon eine Ewigkeit lang nur noch Kräutertee trinkt. Und seine Fans denken immer noch, er kriecht jeden Abend besoffen ins Bett. Ich könnte die Liste fortsetzen, mein Anwalt riet mir aber davon ab. Aus Frust habe ich mir gleich einen Hagebuttentee gegeben.