Unvorstellbar

Es fällt mir immer schwerer, mir vorzustellen, wie wir eigentlich damals mit dem Leben klargekommen sind, als der Algorithmus noch nicht seine Weltherrschaft angetreten hatte? Wir sind echt in ein stummes Auto gestiegen, haben mit den bloßen Händen Scheiben heruntergekurbelt, Sitze mit Hebeln verstellt und sind ohne jedes elektronische Helferchen einfach auf die Straße gefahren? Einfach so. Ohne Navigation, Stauinformationen mit exakter Wartezeit und launigem Unterhaltungsprogramm, Warnungen vor Mausefallen, Reifendruckverlust, Müdigkeit, Hunger, Mundgeruch oder eingeschlafenen Beinen. Wir waren telefonisch und online unerreichbar und haben uns erst am Zielort wieder gemeldet – vorausgesetzt es gab eine Telefonzelle. Ansonsten schrieben wir halt eine Postkarte. Es ist heute auch unvorstellbar, dass Haus zu verlassen, ohne vorher auf die WetterApp zu schauen oder die Schadstoffbelastung der Luft, den Puls und die Atemfrequenz zu checken. Meine neue CodeApp sagt mir sogar, wann es für mich Zeit ist aufs Klo zu gehen und über meine DropApp bittet mich ein fürsorgliche Frauenstimme: „Du musst wieder trinken.“ Gestern bin daraufhin in eine Kneipe gegangen, nach dem dritten Bier kam ein hässlicher Warnton. Klang wie die Stimme meiner Frau.